Der Arbeitsalltag vieler im Gesundheitswesen Tätiger wird derzeit durch die Corona-Krise bestimmt. Wir zeigen, wie sich der Berufsalltag verändert hat, mit welchen Schwierigkeiten die verschiedenen Berufsgruppen zu kämpfen haben und wie sich alle Tag für Tag dafür einsetzen, eine optimale Patientenversorgung auch in diesen schwierigen Zeiten zu gewährleisten.
Dr. Jan Frölich ist Kinder- & Jugendpsychiater in Stuttgart.
Redaktion: Hat sich der Arbeitsalltag in der Corona-Krise für Sie verändert, z. B. in Form von Therapiesitzungen als Videosprechstunde? Sind diese genauso gut geeignet wie persönliche Gespräche?
Frölich: Der Arbeitsalltag hat sich für mich als Kinder- und Jugendpsychiater nicht stark verändert. Wir haben ein differenziertes Hygienemanagement entworfen. Die Patienten werden vor dem persönlichen Termin angerufen, ob sie oder ein Familienmitglied erkrankt ist oder Corona nachgewiesen wurde. Am Tag der Vorstellung wird nochmals nachgefragt. Im Rahmen der Praxistätigkeit wird je nach Aufgabe ein Mundschutz getragen. Die Abstandsregeln werden strikt befolgt. Therapiesitzungen finden statt, zwischen Therapeutin und Patient befindet sich eine dünne Plexiglasscheibe. Auf diese Weise haben wir bisher im Wesentlichen alle Patienten wie gewohnt sehen können. Bei erkrankten Patienten führen wir eine ausführliche Telefonsprechstunde durch. Eine Videosprechstunde war bisher noch nicht notwendig. Insgesamt läuft deshalb bisher der Praxisbetrieb ganz normal weiter.
Redaktion: Welche Folgen haben die verhängten Maßnahmen wie Kontaktsperren und Schulausfall auf Kinder und Jugendliche, insbesondere diejenigen mit psychischen Vorerkrankungen wie Depressionen? Und wie kann man diese Folgen am besten verhindern oder zumindest mildern?
Frölich: Hier kann man noch keine differenzierte Antwort geben. Tendenziell haben viele Kinder und Jugendliche anfangs entlastet reagiert, als gebe es verlängerte Ferien. Vor allen Dingen Patienten vor dem Abitur meldeten eher eine Entlastung zurück, indem sie jetzt Zeit finden würden für eine selbstständige Prüfungsvorbereitung. Die meisten Schulen geben sich aus meiner Erfahrung sehr große Mühe, ein differenziertes Lernangebot den Schülern zur Vermittlung zu stellen und auch für Rückfragen ansprechbar zu sein. Überwiegend erhielt ich zur Rückmeldung, dass die Aufgabenstellungen für zu Hause aber deutlich zu umfangreich seien, jetzt in den letzten Wochen aber etwas reduzierter und angemessener zugeteilt wurden. Vor allem die jüngeren Schüler benötigen hier eher eine Aufgabenbegrenzung als auch deutlich mehr Anleitung. Die älteren Schüler, insbesondere Gymnasiasten, kommen recht gut mit den Anforderungen an das selbstständige Arbeiten zurecht.
Von großer Wichtigkeit ist hier eine angemessene Aufgabenzuteilung für die jeweiligen Altersgruppen, als auch im engen Kontakt mit dem Schüler zu bleiben und Ansprechpartner für sie zu sein. Es zeichnet sich zunehmend ab, dass sich die Eltern überfordert fühlen darin, Lehrertätigkeiten zu übernehmen. Es ist meine feste Überzeugung, dass Schulbesuch sobald wie möglich für alle Altersgruppen, wenn auch reduziert, wieder aufgenommen werden muss!
In den letzten Wochen mehren sich vor allen Dingen bei jüngeren Kindern Stresssymptome mit Unausgeglichenheit, Langeweile, teilweise auch Impuls- und Wutausbrüchen. Dies wiederum korreliert mit einem erheblichen Maß an Stress, dem die gesamte Familie ausgesetzt ist, wenn die Eltern sich im Homeoffice befinden. Hier sind erste Überlastungsreaktionen erkennbar. Vermehrt sorgen sich jüngere Kinder auch um ihre Eltern, welche Angst artikulieren, ihre Arbeit zu verlieren. Es ist damit zu rechnen, dass bei Fortdauern ausgeprägter Kontaktsperremaßnahmen, insbesondere Aussetzung des Schulbesuchs, große psychosoziale Probleme, vor allem bei der jüngeren Altersgruppe entstehen werden.
Redaktion: Stellen Sie schon vermehrt psychische Erkrankungen bzw. Verschlechterung bestehender Erkrankungen wegen der Corona-Krise in Ihrem Praxisalltag fest?
Frölich: In den ersten Wochen der Coronakrise schien es eher ein allgemeines Erstaunen zu geben und eine Orientierungsphase. Viele Schüler fühlten sich eher entlastet. Dies weicht jetzt Unausgeglichenheit, Langeweile, vor allen Dingen gestressten Reaktionen mit oppositionellem Verhalten und Impulskontrollproblemen. Depressive oder Angstsymptome habe ich selbst noch nicht beobachtet.
Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch!