COVID-19: 3 Fragen an den Psychiater Prof. Dr. Frank-Gerald Pajonk

Der Arbeitsalltag vieler im Gesundheitswesen Tätiger wird derzeit durch die Corona-Krise bestimmt. Wir zeigen, wie sich der Berufsalltag verändert hat, mit welchen Schwierigkeiten die verschiedenen Berufsgruppen zu kämpfen haben und wie sich alle Tag für Tag dafür einsetzen, eine optimale Patientenversorgung auch in diesen schwierigen Zeiten zu gewährleisten.

Prof. Dr. Frank-Gerald Pajonk ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und leitet eine eigene Praxis.

Interview mit Prof. Dr. Frank-Gerald Pajonk

Redaktion: Sehen Sie in der Praxis bereits Folgen von Corona (wegen der Maßnahmen oder Angst vor Ansteckung) wie vermehrte Depressionen?

Pajonk: Für mich als ambulant tätigen Psychiater und Psychotherapeuten sind definitiv Folgen zu erkennen. Die Patienten sind deutlich verunsicherter, angespannter, ängstlicher und auch gereizter. Sie berichten, dass die sogenannte Normalität sich unwirklicher anfühlt und die Selbstverständlichkeiten des Lebens geschwunden sind. Die Themen der psychiatrischen und psychotherapeutischen Gespräche haben sich deutlich verändert. Es gibt kaum eine Behandlung, in dem die Corona-Pandemie nicht erwähnt wird. Und innerhalb der Therapie ist es deutlich wichtiger geworden, Sicherheit und Orientierung zu geben und Struktur zu vermitteln.

In den ersten Wochen war sogar ein Rückgang von Neupatienten zu verzeichnen. Dafür hatten die Patienten, die sich aktuell in Behandlung befinden, einen sehr viel höheren Behandlungsbedarf. Außerdem haben sich viele Patienten, die zuvor jahrelang stabil waren und keine Behandlung mehr benötigt haben, sich wieder gemeldet. Die Notfallsprechstunde wird sehr viel häufiger genutzt. Seit ca. zwei Wochen ist nun auch wieder ein deutlicher Zuwachs an Anfragen neuer Patienten zu verzeichnen.

Am häufigsten dekompensieren in meiner Praxis Patienten mit Angst- und Zwangsstörungen sowie mit Depressionen.

Redaktion: Hat sich der Arbeitsalltag in der Corona-Krise für Sie verändert, z.B. in Form von Therapiesitzungen als Videosprechstunde? Sind diese genauso gut geeignet wie persönliche Gespräche?

Pajonk: Die persönlichen Kontakte sind sicher am effektivsten. Für viele Patientinnen und Patienten sind aber auch Videosprechstunden eine wirklich gute Alternative. In der Praxis erleben ich für Videosprechstunden eine große Akzeptanz. Sie werden auch von älteren Menschen und speziell denjenigen, die zu Risikogruppen gehören, dankbar angenommen. Mehr noch als am Telefon kann Vertrautheit und Sicherheit über den Blickkontakt vermittelt werden. Auch Emails können hilfreich sein, z. B. um täglich einen kurzen Statusbericht zu erhalten oder kleine therapeutische Aufgaben zu stellen.

Redaktion: Auch Menschen, die nicht an einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung leiden, tun sich psychisch teilweise schwer mit den verhängten Maßnahmen. Haben Sie Ratschläge, wie man diese Zeit am besten überstehen kann, ohne dass die Psyche zu sehr leidet?

Pajonk: In dieser Zeit dominieren Verunsicherung, Ängste und erhöhte Anspannung. Dies ist für Menschen, die psychisch vulnerabel sind oder sich ohnehin gerade in einer Krise befinden, eine zusätzliche Belastung und kann Symptome verstärken. Ich erlebe aber auch Patienten, die entlastet sind und berichten, dass der jetzige, deutlich langsamere Lebensrhythmus eher ihrer Verfassung entspricht. Sie fühlen sich nicht mehr so schuldig oder schämen sich weniger, nicht den Anforderungen des Lebens in der Zeit vor der Corona-Pandemie genügen zu können.

Wichtig ist das Einhalten einer Tagesstruktur, gerade weil sich im täglichen Leben vieles auf unbestimmte Zeit geändert hat. Es hilft, sich auf seine Särken zu besinnen und Rituale zu pflegen. Ich empfehle, sich darauf zu besinnen, was einem Halt und das Gefühl von Selbstwirksamkeit gibt.

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch.

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