Industrie stellt Antibiotikaforschung ein

Etwa 100 Unternehmen sagten in einer Erklärung den mikrobiellen Resistenzen den Kampf an (AMR Industry Alliance). Laut einer NDR-Recherche hat ein großer Teil davon die Forschung dafür eingestellt. Werden tatsächlich keine neuen Antibiotika mehr entwickelt?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet mikrobielle Resistenz als eine der 10 größten Bedrohungen für die Weltgesundheit 2019. Früher dachte man bei multiresistenten Erregern hauptsächlich an die Methicillin-resistenten Staphylokokken (MRSA). In Deutschland werden aber auch gramnegative Erreger zunehmend zum Problem.

Neue Entwicklungen gegen gramnegative Problemkeime

4MRGN sind gramnegative Erreger, die gegen Penicilline, Cephalosporine, Fluorchinolone und Carbapeneme resistent sind. Liegen zusätzliche Resistenzen vor (Aminoglykoside, Colistin, Tigecyclin), sind diese Erreger medikamentös praktisch nicht mehr therapierbar.

Es wurden allerdings zwei neue Kombinationen entwickelt, die jeweils aus einem Cephalosporin und einem Beta-Lactamase-Inhibitor bestehen.

  • Ceftolozan/Tazobactam
  • Ceftazidim/Avibactam

Sie sind wertvolle Therapieoptionen bei multiresistenten Enterobakterien und Nonfermentern wie Pseudomonas aeruginosa.

Außerdem gibt es zwei neue Carbapenem-Beta-Lactamase-Inhibitor-Kombinationen.

Sie sind gut wirksam bei Carbapenemase-bildenden Enterobakterien.

Neue Tetracycline

Eravacyclin hat eine breite Aktivität gegen gramnegative Bakterien und wirkt gegen Methicillin-resistente Staphylokokken (MRSA) sowie Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE).

Omadacyclin gehört zu einer Tetracyclin-Subgruppe und zeigt Aktivität gegen MRSA. Es wird in Studien bei ambulant erworbener Pneumonie untersucht.

Immer noch Therapielücken

Trotz der neuen Optionen gibt es Therapielücken; zum Beispiel bei Enterobakterien, die bestimmte Carbapenemasen (Metallo-Beta-Lactamasen) exprimieren.

Infektionen mit Carbapenem-resistenten Stämme des Nonfementers Acinetobacter baumannii führen noch immer zu einer hohen Sterblichkeit. Hierfür untersuchen Forscher Cefiderocol in klinischen Studien. Es ist aber noch nicht zuglassen.

Kommentar

Es gibt neue Entwicklungen im Bereich Antibiotika, allerdings handelt es sich in den meisten Fällen um Wirkstoffe aus bekannten Gruppen oder es sind effiziente Kombinationen. Bahnbrechende Neuerungen liegen lange zurück. Besiegt geglaubte Infektionen wie die Gonorrhö werden zum Problem.

Daraus lässt sich ableiten, dass wir bestehende Optionen schützen müssen. Ein guter Ansatz ist die Antibiotic Stewardship (ABS) Initiative Deutschland. Aber auch das Dispensierrecht von Tierärzten sollte überdacht werden. Trotzdem ist weitere Forschung unerlässlich, um die bereits bestehenden und zwangsläufig weiter auftretenden Resistenzen zu überwinden.

Die Entwicklung von Antibiotika ist ökonomisch wenig attraktiv, da es sich nicht um eine Dauermedikation handelt und neue Optionen nur als Reserve eingesetzt werden sollten, um nicht gleich wieder neue resistente Erreger zu erhalten. Man kann es Pharmafirmen daher kaum vorwerfen, dass sie ihre Entwicklungen in diesem Bereich einstellen. Schließlich handelt es sich nicht um Wohlfahrtsunternehmen, sondern in der Regel um Aktiengesellschaften. Die Forschung in diesem Bereich komplett zu privatisieren halte ich für eine schlechte Idee angesichts der leider häufigen Ineffizienz öffentlicher Einrichtungen. Trotzdem könnte man die Forschung z.B. durch Universitäten unterstützen.

Der Gesetzgeber sollte wirtschaftliche Anreize schaffen, die die Forschung im Bereich Antibiotika wieder lohnend machen. Leider reicht der deutsche Markt dafür aber wahrscheinlich nicht aus.

Zusatzmaterial

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Quellen

  1. World Health Organization: Ten threats to global health in 2019
  2. NDR: Das Ende der Antibiotika?
  3. tagesschau.de: Eine Katastrophe mit Ansage