Im Rahmen der Pressekonferenz anlässlich der Deutschen Hormonwoche erläuterte Prof. Dr. med. Susanne Reger-Tan, Essen, warum dringender Handlungsbedarf in der Adipositastherapie besteht und welchen Stellenwert Inkretinmimetika im Therapiekonzept einnehmen können.
Adipositas erhöht Risiko für weitere Erkrankungen
Mehr als die Hälfte der Deutschen ist übergewichtig, ein Viertel der Erwachsenen ist adipös. Die Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die die Lebensqualität reduziert und das Risiko für Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenschäden und Krebs erhöht. Menschen, die in ihren Zwanzigern adipös sind, haben eine um sechs bis zehn Jahre erniedrigte Lebenserwartung im Vergleich zu Normalgewichtigen, erläuterte Reger-Tan.
Gleichzeitig mahnte sie, nicht zu eindimensional über die Entstehung von Adipositas zu denken. So ist die Erkrankung nicht alleinig über eine zu hohe Kalorienzufuhr aufgrund mangelnder Disziplin zu erklären. Eine wichtige Rolle spielt die individuelle genetische Ausstattung, die beeinflusst, wie der Körper mit der erhöhten Kalorienzufuhr umgeht. Überdies sind Menschen gesellschaftlichen Faktoren ausgesetzt, die sie nur begrenzt beeinflussen können, beispielsweise die Verfügbarkeit hochprozessierter Lebensmittel, Schichtarbeit mit geändertem Tag-Nacht-Rhythmus und mehr Lebenszeit bei Wohlfühltemperatur. Allein rein evolutionär bedingt strebt der Körper nach Energiezufuhr.
Die Evolution hat unser Überleben gesichert, indem sie sehr starke Belohnungsmechanismen in unserem Gehirn festgesetzt hat, um eben zu sichern, dass wir immer ausreichend Energie zuführen.
Therapie der Adipositas
Eine Gewichtsreduktion wird mit einer besseren Gesundheit assoziiert. Bereits 5 bis 10% Gewichtsverlust haben diesen Effekt. Bisher standen im Wesentlichen zwei Therapiebausteine zur Verfügung:
- Basistherapie, die aus Lebensstiländerungen wie mehr körperliche Aktivität und einer optimierten Ernährung besteht: Diese ist immer empfehlenswert, allerdings sind die Erfolge mäßig, da die Patienten das reduzierte Gewicht oft nicht halten können.
- Bariatrische Chirurgie: Diese erzielt oft große Effekte mit einem Gewichtsverlust von etwa 30% über Jahre, sie wird aber selten eingesetzt.
Medikamente könnten die Lücke zwischen Basistherapie und Chirurgie schließen, so Reger-Tan. Diese ahmen körpereigene Hormone wie Glucagon-like Peptide-1 (GLP1), Glucose-abhängiges insulinotropes Polypeptid (GIP) oder Glukagon nach, die ein Sättigungsgefühl erzeugen, die Fettverbrennung steigern und die Insulinausschüttung anregen.
Bereits für diese Indikation zugelassen ist der GLP-1-Agonist Semaglutid, mit dem eine Gewichtsreduktion um etwa 15% erreicht werden kann. Ein größerer Gewichtsverlust wird unter dem dualen Agonisten Tirzepatid und dem dreifachen Hormonrezeptoragonisten Retatrutid erzielt, wobei letzterer nah an die Effekte der bariatrischen Chirurgie heranreicht. Tirzepatid und Retatrutid sind (noch) nicht für die Behandlung der Adipositas zugelassen.
Allerdings müssen die Arzneimittel dauerhaft angewandt werden, damit das Gewicht nicht wieder steigt. Reger-Tan verglich die Behandlung mit einer Hypertonie-Behandlung: Auch da werden die Medikamente nicht abgesetzt, wenn ein maximaler Therapieerfolg erreicht und der Patient gut eingestellt ist.
Aktuell keine Kostenerstattung durch gesetzliche Krankenkassen
Es ist so, dass die gesetzlichen Kassen das [Medikament] aktuell – und das finden wir nicht richtig – als Abmagerungsmittel deklarieren. Das ist Lifestyle und deswegen erstatten sie diese Kosten nicht. Das ist sozial ungerecht und medizinisch auch falsch.
Dies sei auch dahingehend zu kurz gedacht, dass die Folgeerkrankungen der Adipositas immense Kosten verursachen. Überdies scheiden Betroffene häufig auch früher aus dem Arbeitsleben aus. Insgesamt müsse zukünftig die Prävention von Adipositas eine viel größere Rolle spielen.
Quelle
Prof. Dr. med. Susanne Reger-Tan. Adipositas-Therapie mit Fettweg-Spritzen und -Tabletten: Beginn einer neuen Ära bei der Behandlung? Online-Pressekonferenz anlässlich der Deutschen Hormonwoche (DGE). Online 20. September 2023.