Im Rahmen der Pressekonferenz anlässlich der 56. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie erläuterte Prof. Dr. med. Rainer Blasczyk, Hannover, warum Transplantationspatienten in Deutschland nicht von der Präzisionsmedizin profitieren. Gründe dafür sind unter anderem das Transplantationsrecht sowie die Organknappheit, die häufig zu Transplantationen nach Dringlichkeit und nicht nach Erfolgsaussicht führt.
Zu wenig Organspenden in Deutschland
Im letzten Jahr haben in Deutschland nur 869 Menschen Organe nach ihrem Tod gespendet. Rund 8500 Menschen stehen auf Wartelisten für ein neues Organ. In Deutschland gilt die sogenannte Entscheidungslösung. Eine Organ- und Gewebespende ist also nur möglich, wenn der mögliche Organ- oder Gewebespender zu Lebzeiten eingewilligt hat oder sein nächster Angehöriger zugestimmt hat.
Ein großes Problem, so Blasczyk, denn die Zahl der Spender ist hierzulande deutlich kleiner als in Ländern mit einer Widerspruchslösung. Sind es in Deutschland etwa 10 Spender pro 1 Million Einwohner, sind es beispielsweise in Spanien 45. So sterben in Deutschland im Schnitt 2,5 Patienten pro Tag auf der Warteliste, insbesondere, wenn sie Herz, Lunge oder Leber benötigen. Hierzulande ist dementsprechend das Dilemma aus Dringlichkeit und Erfolgsaussicht besonders groß: Transplantate erhalten häufig Schwerstkranke, die wiederum keine gute Prognose haben.
Lebendspende als Ausweg?
Etwas weniger dramatisch ist die Lage bei niereninsuffizienten Patienten. Zum einen steht mit der Dialyse ein Organersatzverfahren zur Verfügung und zum anderen besteht die Möglichkeit der Lebendspende. So sind etwa ein Fünftel der Nierentransplantationen Lebendspenden.
Aber auch die Lebendspende ist problematisch: Das Transplantationsrecht in Deutschland verlangt ein Näheverhältnis zwischen Spender und Empfänger – spenden können also Partner, Eltern, Kinder oder andere Verwandte. Dadurch entstehen häufig Mismatch-Situationen, weil die Gewebemerkmale zu unähnlich und dadurch die Immunreaktionen stärker ausgeprägt sind.
Eine starke Immunreaktion macht wiederum eine Retransplantation schwieriger, die man bei Transplantationen aber immer im Auge behalten müsse, so Blasczyk. Diese kann schon etwa nach zehn Jahren fällig werden, sodass insbesondere bei Kindern ein schlecht passendes Spenderorgan ein großes Problem darstellt. So müsse er beispielsweise Spenden von Eltern an Kinder bereits in dem Wissen genehmigen, dass die Retransplantation erschwert ist.
In vielen anderen Ländern ist dagegen die Cross-over-Spende möglich, bei der die lebend gespendeten Organe so verteilt werden, dass ein bestmöglicher Match besteht. Damit wird das Risiko der Abstoßung geringer.
Das sollte dringend geändert werden, wenn man sich schon nicht zur Widerspruchslösung durchringen kann. […] Dann sollte man wenigstens die Cross-over-Spende ermöglichen.
Organabstoßung vermeiden – zwei neue Ansätze
Kann die Abstoßung verhindert werden, sinkt auch die Zahl der notwendigen Retransplantationen. Zwei neue Ansätze könnten dabei helfen:
- Sogenannte unsichtbare Organe, die ex vivo vor der Transplantation gentechnisch so verändert werden, dass sie vom Immunsystem des Empfängers nicht mehr als fremd erkannt werden. Das Immunsystem des Empfängers muss dann dementsprechend nicht mehr durch Immunsuppressiva heruntergefahren werden.
- Patienteneigene Immunzellen werden durch gentechnische Veränderung zu Killerzellen, die gezielt diejenigen Zellen im Organempfänger eliminieren, die für die Antikörper-vermittelte Abstoßung verantwortlich sind. Alle anderen Antikörper-produzierenden Zellen werden nicht angegriffen, sodass das Immunsystem weiterhin funktioniert.
Wir brauchen, egal, welche Methode wir anwenden, Organe und Organspender. […] Wir brauchen eine Politik, die mutig genug ist, Ansätze zu wählen, die zu einer Steigerung der Organspenden führt. Und das ist aus unserer Sicht ausschließlich die Widerspruchslösung.
Quelle
Prof. Dr. med. Rainer Blasczyk. Organtransplantation: Warum Transplantationspatienten in Deutschland kaum von der neuen Präzisionsmedizin profitieren. Online-Pressekonferenz anlässlich der 56. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie e.V. (DGTI). Online 19. September 2023.