Vom Zuckersenker zum Organprotektor: Der Effekt von SGLT2-Inhibitoren geht weit über die Glucosesenkung hinaus, so lautete die Einstufung verschiedener Experten auf dem diesjährigen Diabetes-Kongress.
Schutz für Herz und Nieren
Wie weit mittlerweile die Therapie mit SGLT2-Hemmern (SGLT2i) aufgestellt ist, resümierten Experten auf dem diesjährigen Diabetes-Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Im Sinne einer organprotektiven Medizin im Hinblick auf Interaktionen mit Herz und Nieren gehe die Diabetesbehandlung mittlerweile über die reinen Blutzuckerziele hinaus, sagte Univ. Prof. Dr. med. Jochen Seufert, Freiburg. Viele Typ-2-Diabetiker wiesen ein metabolisches Syndrom, kardiovaskuläre Erkrankungen bzw. Niereninsuffizienz auf, die sich gegenseitig negativ beeinflussten und eine jeweilige Risikoerhöhung bedeuteten.
Mehr als Diabetestherapie
Dapagliflozin, Empagliflozin und Ertugliflozin könnten laut Seufert nicht nur eine Reduktion des HBA1c erzielen, sondern darüber hinaus den Gewichtsverlust und LDL-Zielwerte unterstützen sowie den Blutdruck senken, Herz und Nieren schützen und insgesamt die Mortalität senken.
SGLT2i bieten an verschiedenen Organen einen ganzen Strauß positiver Effekte und können kardio-renal-metabolische Ereignisse reduzieren.
Konsensus-Empfehlungen der American Diabetes Association (ADA) und European Association for the study of Diabetes (EASD) für SGLT2i bestünden unabhängig vom HBA1c-Wert sowie von einer Metformingabe. Sie seien in klinischen Studien außerordentlich gut untersucht, es gebe eine klare Evidenz, entsprechend existierten entsprechende Zulassungen für Dapagliflozin und Empagliflozin für chronische Herzinsuffizienz. In der Praxis setze er SGLT2-Hemmer auch in Kombination mit GLP-1-Rezeptoragonisten als proaktive Maßnahme bei Patienten mit Risikofaktoren – insbesondere nach einem kardiovaskulären Ereignis – ein, ergänzte Seufert.
Aus der Diabetologie in die Kardiologie
Auch Prof. Dr. Michael Lehrke, Aachen, betonte die kardiologische Bedeutung und günstigen Einflüsse der SGLT2-Inhibitoren für alle Patienten mit Herzinsuffizienz. Deren Einsatz ergebe immer einen prognostischen Vorteil, unabhängig von anderen Wirkstoffen. Dementsprechend sollten bei einer Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (HFrEF) laut aktueller Klasse-I-Leitlinien-Empfehlung zusätzlich zu Betablockern, ACE-Hemmern und Aldosteronantagonisten (MRA) auch von Anfang an SGLT2i gegeben werden.
Die Studien DAPA-HF und EMPEROR-Reduced zeigen einen klaren Benefit für die On-Top-Therapie, unabhängig von einer Diabeteserkrankung.
Bei der auch als Alterungserscheinung einzuordnenden und bei Diabetikern häufig auftretenden Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion (HFpEF) gehören SGLT2-Hemmer ebenfalls nach der Diagnose zur Erstmedikation zur Verbesserung der Prognose.
Mehr Raum, weniger Druck
Lehrke erklärte den Mechanismus der SGLT2-Hemmer in Bezug auf die Herzinsuffizienz mit der diuretischen Wirkung, die erhalten bleibe. Der Unterschied zu anderen Diuretika bestehe vermutlich darin, dass Elektrolyte mehr in den Gefäßen gehalten und eine Vasokonstriktion verhindert würden. Unter SGLT2i sei außerdem kein Anstieg der Herzfrequenz zu beobachten; zudem sei der Füllungsdruck im Herzen reduziert, was zu einer spürbaren Symptomverbesserung führte. Eventuell spielten auch Einflüsse auf Signalkaskaden im Herzen in Bezug auf Metabolismus und Stress eine Rolle.
Ursprünglich auch für Typ-1-Diabetes mit Herz- und Niereninsuffizienz gedacht, wurde dieser Ansatz wieder eingestellt, die Zulassung zurückgezogen. Beide Referenten rieten dazu, eine SGLT-2-Therapie bei diesen Patienten ggf. mit einem erfahrenen Diabetologen individuell sorgfältig als Off-Label-Use auszuarbeiten.
SGLT2-Hemmer für die Nieren
Einen Blick auf die Niereninsuffizienz warf Priv.-Doz. Dr. med. Uta Kunter, Aachen. Die Überlebensprognose eines Patienten mit chronischer Nierenerkrankung (CKD) sei schlechter als bei Krebspatienten mit nicht-metastasierten Tumoren.
Herz und Nieren reißen sich gegenseitig mit in den Abgrund.
Eine CKD verschlechtere als „Disease multiplier“ andere internistische Erkrankungen, so seien Herzereignisse die häufigste Todesursache unter CKD. Erste Hürde bei der Behandlung sei, die Nierenpatienten überhaupt zu identifizieren, denn CKD sei weltweit unterdiagnostiziert. In Deutschland seien 10 % der Erwachsenen diagnostiziert, etwa zwei Drittel der Betroffenen nicht erkannt.
SGLT2-Hemmer für alle kranken Nieren?
SGLT2-Hemmer erzeugen Glukosurie und Natriurese, erläuterte Kunter, und reduzierten den tubulären Energieverbrauch in den Zellen. Weil sie der Niere Arbeit bei der Rückresorption der durchfließenden Glucose abnähmen, könne sich die Niere besser erholen. Die Referentin erwarte im Zuge der Aktualisierung der internationalen KDIGO-Leitlinien eine Empfehlung für SGLT2i auch für Nicht-Diabetiker.
Analysen ergaben im Vergleich zu Placebo eine Risikoreduktion von Nierenergebnissen um 37 %, es profitierten gleichermaßen Patienten mit und ohne Diabetes. Die Ergebnisse seien hochkonsistent und sehr klar, genau wie für die Indikationen Diabetes und Herzinsuffizienz. Bei einer IGA-Nephritis und Glomerulonephritis seien sie laut aktueller Studienergebnisse (EMPA-Kidney, DAPA-CKD) ebenso zu empfehlen, außerdem bei akutem Nierenversagen. Auch die Kombination mit beispielsweise Eplerenon oder Fineronon seien denkbar, aktuell liefen Studien hierzu. Zurzeit in Deutschland zugelassen für die CKD-Therapie ist Dapagliflozin.
Quelle
Univ. Prof. Dr.med. Jochen Seufert, Prof. Dr. Michael Lehrke, Priv.-Doz. Dr. med. Uta Kunter. SGLT2-Inhibitoren – Alleskönner in der Diabetologie, Kardiologie und Nephrologie. Diabetes-Kongress 2023 (DDG) am 17. bis 20. Mai 2023.