Onkologika werden immer teurer. Können wir uns onkologische Therapien noch leisten? Sind die Kosten der innovativen Arzneimittel gerechtfertigt? Diese Fragen diskutierten Experten auf der 41. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie (DGS), die vom 30. Juni bis 2. Juli 2022 in Stuttgart stattfand.
1,2 % der verordneten Arzneimittel verursachen 20,5 % der Kosten
Ein Grund der gestiegenen Kosten in der Onkologie ist sicher der demographischen Entwicklung geschuldet. Doch moderne Onkologika gehören allgemein zu den hochpreisigen Arzneimitteln: Ein Fünftel der Arzneimittelausgaben (9,4 Mrd. Euro) entfiel 2020 auf die Onkologie – 2015 waren es noch gut 12 % und 5 Mrd. Euro, wie Prof. Dr. Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundessausschusses (G-BA), ausführte.
Früher hat man Platin abgeworfen und geguckt, wem es hilft. Nebenwirkungen hatten alle.
Heute wird in der Regel genau geprüft, welche Patienten von welcher Therapie profitieren können. Mit den zahlreichen Neuentwicklungen haben sich die Prognosen für Krebspatienten stets verbessert. Allerdings steigen mit jeder Therapielinie die Kosten. In der frühen Nutzenbewertung kommen Onkologika meist recht gut weg – in keinem anderen Gebiet werde so oft ein (beträchtlicher) Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie attestiert. Ein Problem stellen Hecken zufolge vor allem Kombinationstherapien dar. Sie potenzieren die Therapiekosten. Beispielhaft nannte er die Kombination Nivolumab+Ipilimumab, die eine Verdoppelung der Therapiekosten gegenüber der Monotherapie mit sich brachte: Die Hinzunahme von Ipilimumab zum Therapieregime hatte keinen Zusatznutzen gegenüber der Monotherapie mit Nivolumab. Daraus ergibt sich „gleicher Preis wie die zweckmäßige Vergleichstherapie“ – zusätzlich zu den bestehenden Kosten für Nivolumab. Beide Arzneimittel stammen von ein und demselben Hersteller, hob Hecken hervor.
Als zweites Beispiel nannte Hecken den Kinase-Hemmer Palbociclib, der – trotz Preissenkungen um 50 % seit der Einführung – immer unter den TOP30 der Gesamtnettokosten ist. Das läge unter anderem daran, dass es viel verordnet werde.
Unwirtschaftliche Packungsgrößen abschaffen, Mindestmengen erhöhen
Viel ließe sich bereits mit sinnvollen Packungsgrößen erreichen, so Hecken. Es gehe nicht an, dass wie bei gewichtsadaptiert verabreichten Arzneimitteln ein Großteil im Gulli lande. Die Angst, dass eine Erhöhung der geforderten Mindestmengen für Onkologische Spitzenzentren bei Operationen die Fahrtzeiten der Patienten extrem erhöhe, sei laut Hecken unbegründet. Er ist optimistisch, „die nächsten Jahre noch gut über die Runden zu kommen“.
150 neue Indikationen in zehn Jahren
Prof. Dr. med. Bernhard Wörmann, medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) betonte, dass wir nicht nur eine Kosten- sondern auch eine Wissensexplosion erleben.
Eine Therapie nach dem Stand des Wissens ist wirtschaftlich.
Wirtschaftlichkeitsreserven lägen in einer optimalen Therapiesteuerung und kurzfristigen Überprüfung des Therapieerfolgs sowie beim Einsatz von Generika und Biosimilars. Er plädierte dafür, neben der frühen auch eine späte Nutzenbewertung einzuführen.
Nichts tun, ist keine Option
Auch Dr. Christian O. Jacke vom Wissenschaftlichen Institut der Privaten Krankenversicherung (PKV) ist grundsätzlich zuversichtlich, dass die Tumortherapie zukünftig bezahlbar bleibe. Die 40%-Sozialgarantie (PDF) auf der einen und der Schuldenbremse auf der anderen Seite fordern jedoch zu politischem Handeln auf. Die Reserven der PKV von 300 Mrd. Euro seien für die jetzige Situation der Versicherten ausgelegt – nicht auf die zukünftiger. Zwar seien die Beitragseinnahmen in den letzten Jahren gestiegen, aber längst nicht so stark wie die Arzneimittelkosten. Hinzu kämen Kosten für Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP) oder Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA). Als Kosten-Steuerungsinstrumente nannte er Herstellerrabatte, das AMNOG oder Rabattverträge, die bei den privaten Krankenkassen eine immer größere Rolle spielten.
Auch Apotheken können einiges bewirken. Als Beispiele zählte Jacke die Austauschbarkeit von Generika und Biosimilars bzw. Bioidenticals auf.
Die Vorsitzende der DGS, Prof. Dr. Sara Y. Brucker, wies abschließend auf das Problem der Patientenpriorisierung im Zuge gesteigerter Kosten hin:
Ich möchte als Arzt nicht dafür verantwortlich gemacht werden, welche Patienten wir mit einer Therapie therapieren dürfen und welche nicht.
Quelle
„Gesundheitsökonomie und Krebs“, im Rahmen der 41. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie (DGS), 1. Juli 2022, Stuttgart.