Apps auf Rezept – wo stehen wir aktuell?

Im Oktober 2020 wurden die ersten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) zugelassen. Was hat sich seither getan? Haben sich die DiGA als Erfolgsmodell entpuppt? Es ist Zeit für ein erstes Zwischenfazit.

Was bisher geschah

Vor genau einem halben Jahr haben wir über den Auftakt der DiGA und deren Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis berichtet. In 18 Monaten haben die Anwendungen den Weg vom Referentenentwurf in das „Digitale Versorgungs-Gesetz (DVG)“ zurückgelegt und wurden mit der „Digitale Gesundheitsanwendungen-Verordnung“ (DiGAV) in die Versorgungspraxis übertragen. Abgesehen von der schnellen Einführung ist auch das Konzept „Apps auf Rezept“ an sich bemerkenswert, da es international einzigartig ist – und das, obwohl Deutschland in Sachen Digitalisierung sonst bekanntlich eher hinterherhinkt. Von den meisten Akteuren des Gesundheitswesens wurde die Aufnahme von DiGA in die Regelversorgung mit Spannung erwartet, aber die Entwicklung aus der Retrospektive näher zu betrachten, ist mindestens genauso interessant.

Was hat sich seitdem getan?

DiGA wurden im Rekordtempo zugelassen. In den letzten sechs Monaten sind 13 neue Anwendungen hinzugekommen, einige davon auch für neue Indikationen. Und nicht nur das DiGA-Verzeichnis wächst, sondern auch die Verordnungszahlen steigen. Offenbar ist das Interesse an dem innovativen Konzept seitens der Ärzte und Patienten vorhanden. Neu sind:

DiGA Indikation
Cara Care Reizdarm
companion patella powered by medi Knieschmerzen, Tendinitis
ESYSTA App & Portal Diabetes mellitus Typ 1 und 2
HelloBetter Diabetes und Depression Diabetes mellitus Typ 1 und 2, Depression
HelloBetter ratiopharm chronischer Schmerz Schmerzen
HelloBetter Stress und Burnout Erschöpfung
Kranus Edera Impotenz organischen Ursprungs
Mawendo Erkrankungen der Patella (Kniescheibe)
NichtraucherHelden-App Nicotinabhängigkeit
Novego Depression
Oviva Direkt Adipositas
Selfapys Online-Kurs Generalisierte Angststörung
Selfapys Online-Kurs Panikstörung

Was waren die Herausforderungen?

Zu den Herausforderungen gehörte sicherlich die Unsicherheit aller beteiligten Akteure im Gesundheitssystem zu Beginn der DiGA-Einführung. Rund um die Entwicklung, Verordnung und Anwendung gab es einige große Fragezeichen, angefangen bei den DiGA-Herstellern, den eigentlichen Leistungserbringern (Ärzte, Psychotherapeuten) bis hin zu den Patienten selbst. Besonders zu Beginn war der Informationsbedarf enorm und zuverlässige Informationsquellen rar. Hinzu kam, dass die Hersteller während der DiGA-Entwicklung hohe Anforderungen an Datenschutz und Nutzenorientierung sowie Benutzerfreundlichkeit und Evidenz berücksichtigen mussten und nach wie vor müssen. Dabei ist zu bedenken, dass die sicherste DiGA keinen positiven Versorgungseffekt mit sich bringt, wenn Patienten sie nicht anwenden können. Umgekehrt nützt eine datenschutzkonforme, aber wenig benutzerfreundliche Anwendung ebenso wenig. Es kommt also auf die richtige Balance an. Technische Herausforderungen wie Program-mierschnittstellen oder eine fehlende Testumgebung erschwerten die DiGA-Einführung zusätzlich. Denn solange der QR-Code auf dem Rezept nicht freigeschaltet und abgerechnet werden konnte, war die am besten entwickelte DiGA nutzlos.

Was DiGA leisten können …

Der große Vorteil der DiGA ist, dass sie für alle Versicherten in Deutschland zugänglich sind und diese einen gesetzlichen Anspruch auf die Leistung haben – ein vorhandenes Smartphone, der gekonnte Umgang damit und die passende Indikation natürlich vorausgesetzt. Der erste Entwurf, DiGA über Selektivverträge nur für Versicherte einzelner Krankenkassen anzubieten, wurde erfreulicherweise verworfen. DiGA haben das Potenzial, den Anwendern ein Stück Gesundheitskompetenz zu vermitteln und so die Versorgungspraxis zu verbessern. Indem Patienten beispielsweise über die Migräne-App „M-sense“ täglich ihre Schlaf- und Ernährungsgewohnheiten sowie das aktuelle Wetter dokumentieren, erfolgt eine Sensibilisierung für das Krankheitsbild Migräne und sie lernen, auf welche Triggerfaktoren sie verstärkt achten müssen und wie sie diese vermeiden können.

… und was nicht

Was bisher noch für die vollständige Integration in die Regelversorgung fehlt, sind vollumfängliche digitale Prozesse, denn DiGA werden aktuell (noch) auf Papierrezepten verordnet und abgerechnet. Und auch die Aufnahme in die elektronische Patientenakte (ePA) steht noch aus. Ersteres wird sich in Zukunft auch nicht allzu schnell ändern, da die Einführung des e-Rezeptes vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.

Zukünftige Herausforderungen

Die aktuell größte Herausforderung für die Hersteller besteht wohl darin, die Evidenz ihrer entwickelten DiGA nachzuweisen. Denn ohne den nachträglich erbrachten Nachweis werden die DiGA nur vorläufig vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen. Das bedeutet, dass für die App zwar bereits vielversprechende Daten, aber noch keine ausreichenden Belege für positive Versorgungseffekte vorliegen. Das BfArM fordert daher von den Herstellern innerhalb von einem Jahr nach Zulassung valide Daten aus Vergleichsstudien. Und auch die Etablierung vollunfänglicher digitaler Prozesse wie die Aufnahme in die ePA und die Anbindung an das eRezepte stehen noch aus. Es bleibt durchaus spannend, wie sich der Bereich DiGA weiterentwickeln wird. Nun ist aber erst einmal Geduld gefragt.

Quellen

  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Digitale Gesundheitsanwendungen
  • Geier AS, Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) auf dem Weg zum Erfolg – die Perspektive des Spitzenverbandes Digitale Gesundheitsversorgung. Bundesgesundheitsbl 2021;64:1228–31. doi.org/10.1007/s00103-021-03419-5