BacPROTACs – Antibiotika der Zukunft?

Einer Forschungsgruppe ist es gelungen, eine neuartige, antimikrobielle Wirkstoffklasse zu entwickeln: die sogenannten BacPROTACs (proteolysis targeting chimeras). Sie sind in der Lage, bakterielle Proteine abzubauen und besitzen das Potenzial, sich zu einer neuen, dringend benötigten Antibiotikaklasse zu entwickeln.

Lange gesucht …

Forderungen nach neuen, wirksamen Antibiotika bestehen seit geraumer Zeit, denn die einstige Wunderwaffe Antibiotika wird zunehmend stumpf. In den letzten 50 Jahren haben sich sehr wenig neue antimikrobielle Wirkstoffe in das Portfolio bestehender Therapieoptionen eingereiht. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Neben ökonomischen Aspekten spielt unter anderem die geringe Permeabilität der bakteriellen Außenhülle eine Rolle. Auch die Anzahl mikrobieller Proteine, die spezifisch inhibiert werden können, ist limitert. Hinzu kommt die Geschwindigkeit, mit der sich Resistenzen gegenüber bestehenden Therapieoptionen entwickeln. In Anbetracht dessen erscheinen die Rückkehr bakterieller Pandemien als reale Bedrohung und innovative Strategien für die Bekämpfung bakterieller Infektionen dringender denn je.

… und endlich gefunden

Ein aufkommendes Konzept in der Arzneimittelentwicklung ist die Eliminierung von Zielproteinen, beispielsweise durch Autophagie oder das Ubiquitin-Proteasom-System. Die aktuell prominenteste synthetische Möglichkeit, um Proteine spezifisch abzubauen, sind kleine, bifunktionelle Moleküle, die sogenannten PROTACs (proteolysis targeting chimeras). Diese „Protein-Degradierer“ haben zahlreiche Vorteile gegenüber klassischen Protein-Inhibitoren:

  • größere Wirksamkeit
  • Potenzial, jedes theoretisch denkbare zelluläre Protein zu adressieren

Bisher war die PROTAC-Technologie beschränkt auf das Ubiquitin-System von Eukaryoten, Bakterien zählen jedoch bekannterweise zu den Prokaryoten. Die Herausforderung bestand darin, das System so zu transferieren, dass damit auch bakterielle Proteine adressiert werden können.

Ubiquitin ist einzigartig in Eukaryoten

Obwohl Ubiquitin exklusiv in eykaryotischen Zellen vorkommt, nutzen einige Bakterien ein ähnliches System für den gezielten Proteinabbau. Im Vergleich zum Proteasom von Eukaryoten, bei dem die Degradierung bestimmter Proteine durch ein komplexes Polyubiquitin-Signal ausgelöst wird, ist das erforderliche Signal für den Proteinabbau in Bakterien viel simpler: Eine Phosphat-Gruppe, gekoppelt an einen Arginin-Rest des Zielproteins, reicht dafür aus. Diese phosphorylierten Arginin-Reste (pArg) werden von der ClpC-Protease (ClpCP) als Signal wahrgenommen. Dabei handelt es sich um eine ATP-abhängige Protease, die unter anderem für die mikrobielle Kontrolle der Proteinqualität verantwortlich ist. ClpCP ist präsent in grampostiven Bakterien und auch in Mykobakterien.

Entwicklung der BacPROTACs

Um den ClpCP-vermittelten Proteinabbau künstlich herbeizuführen, entwarf das Forschungsteam einige BacPROTACs-Prototypen, die zusammengesetzt waren aus einem

  • Liganden des Zielproteins (protein of interest, POI-Ligand),
  • chemischen Linker sowie
  • bestimmten ClpCP-Anker, der einem pArg-Rest aufwies, um die bakterielle Degradierung zu imitieren.

Für den Versuch nutzen die Wissenschaftler das Modellprotein monomeric streptavidin (mSA). Sie konnten bestätigen, dass die entwickelten BacPROTACs mit hoher Affinität an mSA binden. Anschließend analysierten sie, ob auf diese Weise auch der Proteinabbau ausgelöst werden kann – und tatsächlich: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die bakterielle Protease ClpC durch einen pArg-enthaltenden, chemischen Linker „reprogrammierbar“ ist und die Degradierung auslöst.

Ausweitung des Ansatzes auf Mykobakterien

Um das therapeutische Potenzial der pArg-basierten BacPROTACs näher zu untersuchen, zog die Forschungsgruppe die laut WHO am weitesten verbreiteten und für den Menschen gefährlichen Pathogene heran: Mykobakterien. Dies ist erstaunlich, denn bislang war ein pArg-abhägiger Proteinabbau bei den Tuberkulose-Erregern nicht bekannt. Die Analyse ergab jedoch, dass die entwickelten BacPROTACs auch in diesem Fall in hochselektiver und effizienter Weise zum Proteinabbau führten.

Limitationen von pArg-basierten BacPROTACs

Da das pharmakokinetische Profil und die chemische Stabilität der BacPROTACs suboptimal waren, suchten die Wissenschaftler nach einem chemischen Ersatz für pArg. Sie konnten zeigen, dass BacPROTACs die Integration von diversen funktionellen Gruppen und chemischen Linkern erlauben und trotzdem zuverlässig funktionieren.

Fazit

BacPROTACs ermöglichen den selektiven und effizienten Abbau von bakteriellen Zielproteinen. In Mykobakterien konnte das Forschungsteam bereits die Wirksamkeit von BacPROTACs nachweisen. Nun geht es darum, die Eliminierung essentieller bakterieller Proteine in weiteren Bakerienspezies zu induzieren, denn genau hier liegt nach Ansicht der Autoren die große Stärke der BacPROTACs: der breite Einsatz für alle denkbaren bakteriellen Proteine. Zusammenfassend stellt die BacPROTAC-Technologie einen innovativen Ansatz dar mit dem Potenzial für die Erforschung von neuen, dringend benötigten Antibiotika(klassen). Die Möglichkeit, ein bestimmtes Protein aus einer Zelle zu entfernen, könnte aber auch für andere Anwendungsgebiete interessant sein. Wir dürfen gespannt sein.

Zum Weiterlesen

Für alle, die es etwas bildlicher mögen, gibt es das BacPROTAC-Modell in einer visuell anschaulicheren Form hier zu entdecken.

Quelle

Morreale FE, et al. BacPROTACs mediate targeted protein degradation in bacteria. Cell 2022;2338–53.e18; doi: https://doi.org/10.1016/j.cell.2022.05.009.