Schwerbehinderung bei Nahrungsmittelallergie

Ein Anaphylaxierisiko aufgrund einer Nahrungsmittelallergie kann ausreichend für einen Antrag auf einen Grad der Behinderung (GdB) sein. Das hat vor allem für Kinder Vorteile.

Nachteilsausgleiche nutzen

Die Teilnahme am normalen Leben kann durch eine Nahrungsmittelallergie eingeschränkt sein: Diese Definition ermöglicht eine Einstufung als schwere Behinderung. Insbesondere für Kinder mit schweren Nahrungsmittelallergien ist ein entsprechender Antrag eine Überlegung wert, erläuterte Rechtsanwalt Lars Ihlenfeld, Hamburg, in einem Webinar des Deutschen Allergie- und Asthmabundes (daab) im Rahmen des diesjährigen Lebensmittel-Allergietags. Dabei liege der Schwerpunkt auf der rechtlichen Grundlage für eine inklusive Betreuung. Laut Deutschem Sozialgesetzbuch (Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, §78) stehen Betroffenen Assistenzleistungen „zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags“ zu.

Die übliche GdB-Einstufung für jüngere Kinder mit anaphylaktischer Allergie beträgt 50 %. Damit verbunden ist ein Schwerbehindertenausweis. Antragsformulare gibt es für Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, im Saarland, in Berlin und Brandenburg online sowie deutschlandweit vor Ort beim jeweiligen Landesamt für Gesundheit und Soziales, landläufig „Versorgungsamt“ genannt. Von dort kommt dann auch der entsprechende Bescheid. Ärztliche Dokumente und Gutachten erleichtern die GdB-Feststellung und reichen in der Regel für eine Bewilligung aus. Besonders aussichtsreich ist ein Antrag bei schwer vermeidbaren Allergenen, zu denen etwa Erdnuss, Nüsse, Milch und Ei zählen. In bestimmten Situationen können Eltern auch einen Eilantrag stellen.

Flattert zunächst eine Ablehnung ins Haus oder wird ein geringerer GdB als 50 festgesetzt, kann Widerspruch eingelegt werden. Was für Kinder durchaus üblich ist, ist im Erwachsenenalter nicht Usus. Hier ist eine Bewilligung des GdB aufgrund einer Nahrungsmittelallergie eher schwierig. Unterstützung gibt es beim Sozialverband Deutschland, bei Fachanwälten für Sozialrecht oder beim daab.

Betreuung, Hilflosigkeit und Begleitpersonen

So ermöglicht unter Umständen erst eine Bewilligung von zusätzlichem Personal oder Assistenzleistungen durch einen GdB den Besuch eines Kindergartens. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen ebnete im Jahr 2015 im Fall einer Vierjährigen mit hochgradiger Erdnussallergie den Weg für eine persönliche Assistenz und deren Kostenübernahme – und schuf damit die Voraussetzung für den Kindergartenbesuch des Mädchens. Denn zuvor sah sich die Einrichtung nicht in der Lage, eine sichere Betreuung zu gewährleisten.

Vorteile – oder wie es auf Amtsdeutsch heißt: Nachteilsausgleiche – ergeben sich außerdem in Form von erhöhten Steuerfreibeträgen oder Ermäßigungen. Als zusätzliches Merkmal kann Hilflosigkeit festgesetzt werden, im Ausweis als Merkzeichen H eingetragen. Dies ist laut Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) bei klinisch gesicherter Typ-I-Allergie gegen schwer vermeidbare Allergene, bei der auf die Gefahr lebensbedrohlicher anaphylaktischer Schocks zu schließen ist, in der Regel bis zum Ende des 12. Lebensjahres der Fall. Das Merkzeichen B weist die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson aus, beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr. Tipp des Rechtsanwalts: Auch wenn diese Leistungen erst später relevant werden, sollten sie schon früh, möglichst direkt nach der Diagnose gestellt werden.

Da insbesondere bei Kindern Veränderungen des Gesundheitszustandes erfolgen und sich Allergien oft „auswachsen“, gilt die Feststellung befristet für einen festgelegten Zeitraum und wird anschließend neu überprüft und genehmigt.

Schwer in Ordnung statt schwerbehindert

Grundsätzlich dokumentiert ein Schwerbehindertenausweis bzw. der Grad der Behinderung nur, was nun einmal vorhanden ist. Trotzdem kann der offizielle „Stempel“ Behinderung gerade für Kinder auch eine Belastung sein. Nicht „normal“ zu sein oder wegen der Sonderstellung gehänselt zu werden, sind Aspekte, die zu bedenken sind. In vielen Familien und Betreuungsstellen hat sich aus diesem Grund der Begriff „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ durchgesetzt – eine positivere Assoziation, die Behinderung mit einem Augenzwinkern betrachtet.

Nachteile eines Schwerbehindertenausweises, etwa bei privaten Zusatz- oder Reiserücktrittsversicherungen sowie in Hinblick auf die spätere Berufswahl, sind laut daab in der Regel unbegründet.

Quellen

daab Online-Seminar „Nahrungsmittelallergie mit Anaphylaxierisiko – den Grad der Behinderung (GdB) erfolgreich beantragen“ zum Lebensmittel-Allergietag am 21.06.2022.

Kristina Schmidt. Podcast „Nuss-Knacker: Schwerbehindertenausweis bei Nahrungsmittelallergie und Anaphylaxie?“ (Zugriff am 12.07.2022)