COVID-19; Originalbild: Eisenhans/Adobe Stock

COVID-19: Neue Erkenntnisse zu seltenen Hirnvenenthrombosen nach AstraZeneca-Impfung

Gleich mehrere Veröffentlichungen in der Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“ aus den vergangenen Tagen beschäftigen sich mit neuen Erkenntnissen zu einer seltenen Nebenwirkung der SARS-CoV-2-Impfung. Die Ergebnisse können dazu beitragen, das Risiko für Sinus- und Hirnvenenthrombosen als Folge der Impfung zu reduzieren, sie beruhen allerdings auf kleinen Fallzahlen.

Im März 2021 waren dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) mehrere Fälle von Sinusvenenthrombosen nach Impfungen mit dem AstraZeneca-Wirkstoff gemeldet worden – vor allem bei Jüngeren. In dessen Folge empfahl das Robert Koch-Institut (RKI), das Vakzin nur noch für Personen im Alter ab 60 Jahren zu verwenden.

Das Krankheitsbild der Vakzin-induzierten immunogenen thrombotischen Thrombozytopenie (VITT) ähnelt einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie mit Antikörperbildung gegen Plättchenfaktor 4 (PF4). Zu den Labortests zur Diagnose gehören die Bestimmung der Thrombozytenzahl, Gerinnungstests und die Suche nach Antikörpern gegen PF4 (mittels ELISA!), mit einem Plättchenaktivierungstest zur Bestätigung.

Nicht rechtzeitig behandelt, ist diese sehr seltene Komplikation tödlich.

Abklärung von Kopfschmerzen nach SARS-CoV-2-Impfung kann Sinus- und Hirnvenenthrombosen verhindern

Starke Kopfschmerzen nach der Impfung können ein Vorbote und somit ein Warnhinweis für postvakzinale Thrombosen sein: Mediziner der Charité-Universitätsmedizin Berlin, der Universitätsmedizin Greifswald und des IGNITE-Netzwerks berichten in ihrem „Letter to the Editor“ von elf Patienten, die sich 5 bis 18 Tage nach ihrer Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff mit heftigen Kopfschmerzen in Kombination mit einer Thrombozytopenie in der Klinik vorstellten.

Die Laborwerte deuteten jeweils auf eine VITT (hohe D-Dimer- und hohe anti-PF4-Antikörperspiegel), Hirn- oder Sinusvenenthrombosen (CSVT) lagen jedoch nicht vor. Nur zwei Patienten wiesen zum Aufnahmezeitpunkt ein anderes thrombotisches Ereignis auf. Sie erfüllten die VITT-Kriterien vollständig (bei beiden wurde eine Lungenembolie diagnostiziert).

Mit einer Ausnahme erhielten alle Patienten, die auch im Verlauf keine Thrombosen entwickelten, innerhalb von fünf Tagen nach Beginn der Kopfschmerzen eine VITT-spezifische Therapie mit therapeutischer Antikoagulation, hochdosierten Immunglobulinen oder Glucocorticoiden.

Die vier übrigen Patienten entwickelten Thrombosen und damit das Vollbild einer VITT; drei Betroffene zeigten intrakranielle Blutungen, zwei davon eine CSVT. Diese vier Patienten hatten allerdings erst verzögert eine Therapie erhalten – eine Erkenntnis mit hoher Relevanz für den klinischen Alltag.

Bei der Mehrzahl der Patienten dieser kleinen Fallserie konnten somit dank frühzeitiger, konsequenter Behandlung thrombotische Ereignisse im weiteren Verlauf verhindert werden.

„Prä-VITT-Syndrom“ bietet therapeutisches Fenster zur Vorbeugung

Es gibt offensichtlich eine VITT ohne thrombotische Manifestationen mit schweren Kopfschmerzen als Warnsymptom für die spätere Entwicklung einer VITT, ein „Prä-VITT-Syndrom“. Das eröffnet einen „Handlungsspielraum für frühzeitige, therapeutische Interventionen“, so Erstautor Dr. Farid Salih, Berlin.

Prof. Dr. Matthias Endres, Berlin, gibt folgende Handlungsempfehlungen:

 „Werden Patienten in der typischen Latenzzeit von 5–30 Tagen nach Impfung mit schweren Kopfschmerzen vorstellig, sollte unbedingt eine weiterführende Diagnostik erfolgen. Weisen sie eine Thrombozytopenie und erhöhte D-Dimere auf, muss gezielt auf anti-PF4/Heparin-IgG-Antikörper getestet werden und frühzeitig und konsequent therapiert werden. Dann können wir schwere thrombotische Ereignisse in Folge womöglich ganz verhindern.“

Pathogene Antikörper: Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung sollte ausreichend lang sein

Wie eine ebenfalls aus Greifswald stammende Untersuchung zeigt, verschwinden die gefährlichen Anti-PF4-Antikörper bei den meisten Patienten innerhalb von drei Monaten wieder.

Menschen, die nach der ersten Impfung eine VITT entwickelt haben, können daher, so die Wissenschaftler in ihrem „Letter to the Editor“,  ein zweites Mal geimpft werden – ohne dass neue Antikörper gebildet werden. Andreas Greinacher, Greifswald, empfiehlt für diese Gruppe allerdings einen Abstand von drei Monaten.

Auf der Basis der Untersuchungen wurden VITT-Patienten bereits ein zweites Mal geimpft, um einen vollen Schutz gegen COVID-19 zu erhalten. Bei keinem führte die zweite Impfung mit einem mRNA-Impfstoff von BioNTech oder Moderna zu Komplikationen.

Quellen

  • Salih F, et al. VITT Presenting as severe headache and thrombocytopenia without thrombosis. New Engl J Med 2021. September 15, 2021. DOI: 10.1056/NEJMc2112974.
  • Schönborn L, et al. Decline in Pathogenic Antibodies over Time in VITT. New Engl J Med 2021. September 8, 2021. DOI: 10.1056/NEJMc2112760.
  • Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin e.V. (DGNI), der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (dgti) und der Gesellschaft für Thrombose und Hämostaseforschung e.V. (GTH) vom 16. September 2021.
  • Pressemitteilung der Universität Greifswald vom 8. September 2021.