Wegen schwerwiegenden neurologischen Ereignissen nach der Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca wurde der Einsatz des Vakzins in Deutschland zunächst gestoppt. Eigentlich sollten sich gerade die Neurologen darüber freuen. Die sehen das aber ganz anders.
Update: Lesen Sie auch unseren Beitrag vom 31.03.2021 „AstraZeneca nun doch nur für Ältere“.
Nach einer Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts, hat die Bundesregierung die Impfkampagne mit dem AstraZeneca-COVID-19-Impfstoff gestoppt. Grund waren einzelne Fälle von ungewöhnlichen thromboembolischen Ereignissen. Damit folgte Deutschland mehreren anderen europäischen Ländern. Die European Medicines Agency (EMA) geht währenddessen weiter von einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis aus. Auch die World Health Organization ruft dazu auf, die Impfung fortzuführen.
Nun hat sich auch die Deutsche Neurologische Gesellschaft (DGN) zu den Nebenwirkungen geäußert.
Wie steht die DGN zu den Ereignissen?
In Ihrer Pressemeldung vom 16.03.2021 fasst die DGN die aktuelle Lage in Deutschland zusammen:
In zeitlichem Zusammenhang mit der AstraZeneca-Impfung traten bei sechs Frauen zwischen 22 und 48 Jahren zerebrale Sinus- und Hirnvenenthrombosen (CSVT) auf, drei davon mit tödlichem Ausgang. Ein weiterer, männlicher Patient verstarb an den Folgen einer Hirnblutung im Zusammenhang mit einer ungewöhnlichen Gerinnungsstörung. Bei einem Teil der sieben Patienten wurde zudem eine Erniedrigung der Blutplättchenzahl (Thrombozytopenie) festgestellt. In vier Fällen lagen Erkrankungen vor, die teilweise auch das Blutgerinnungssystem betrafen.
CSVT treten in Deutschland jedes Jahr bei einem bis zwei von 100.000 Personen auf und betreffen mehrheitlich Frauen. In Deutschland haben bisher etwa 1,22 Millionen Menschen den AstraZeneca-Impfstoff erhalten.
Selbst wenn die Impfung wesentliche Ursache für die Thrombosen bzw. die Gerinnungsstörung sein sollte, handelte es sich dennoch um eine extrem seltene Nebenwirkung, die durch die Vorteile der Impfung bei weitem aufgewogen wird. Gerade neurologische Spätfolgen sind nach COVID-19 nicht selten und können nur primärpräventiv durch eine Impfung verhindert werden. [DGN]
Kommentar
Ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis bei so harten Endpunkten wie der Mortalität zu beweisen, ist für Impfstoffe selbst in einer Pandemiesituation schwer. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Studien, erhalten gesunde Menschen die Intervention. In den Daten, die bei der Zulassung vorlagen, gab es überhaupt nur einen Todesfall. Um einen statistisch signifikanten Überlebensvorteil in der Verum-Gruppe zu zeigen, wären unglaublich lange und große Studien nötig. Man kann den Nutzen also nur anhand von verhinderten symptomatischen Verläufen abschätzen, aber nicht beweisen.
Hier ist die pragmatische Überlegung der DGN vernünftig: Selbst wenn der Impfstoff für die Ereignisse verantwortlich sein sollte, würden durch den Impfstoff immer noch sicher viel mehr Leben gerettet als beendet. Das hilft dem Pechvogel mit Thrombose aber nur wenig.
Kommuniziert man diese Situation öffentlich, ist es aus meiner Sicht ethisch vertretbar, die Impfung während der Überprüfung fortzusetzen.