COVID-19; Originalbild: Eisenhans/Adobe Stock

Welche Rolle spielen Kinder bei der Verbreitung von SARS-CoV-2?

In einer Querschnittsstudie aus dem ersten Lockdown 2020 waren jüngere Kinder deutlich seltener mit SARS-CoV-2 infiziert als ihre Eltern. Den Wissenschafltern aus Heidelberg, Ulm, Freiburg und Tübingen zufolge haben sie demnach in der aktuellen Pandemie keine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung von SARS-CoV-2. Doch die Studie hat auch ihre Grenzen. Die Ergebnisse wurden nun im JAMA Pediatrics veröffentlicht.

Kinder, Kitas und Corona

Die Kita- und Schulschließungen bringen nicht nur berufstätige Eltern an ihre Belastungsgrenzen. Auch für Kinder gehen die Kontaktbeschränkungen mit weitreichenden sozialen und schulischen Folgen einher. Doch spielen jüngere Kinder überhaupt eine größere Rolle bei der Verbreitung von SARS-CoV-2? Dieser Frage versuchte eine Gruppe von Medizinern aus Baden-Württemberg während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 nachzugehen. Vorläufige Ergebnisse waren bereits im Juni 2020 veröffentlicht worden.

COVID-19-BaWü-Studie

Die groß angelegte multizentrische Querschnittsuntersuchung umfasste 2482 Kinder im Alter von 1 bis 10 Jahren mit je einem Elternteil. Sie lief vom 22. April bis zum 15. Mai 2020 in Südwestdeutschland.

Das Durchschnittsalter der Kinder lag bei 6 Jahren, etwa die Hälfte waren Jungen. Die zugehörigen Elternteile waren zwischen 23 und 66 Jahre alt (im Mittel 40 Jahre), ein Viertel war männlich. Ein einzelnes Eltern-Kind-Paar war zu Studienbeginn SARS-CoV-2-RNA-positiv.

Eltern waren häufiger SARS-CoV-2-positiv

  • Die geschätzte SARS-CoV-2-Seroprävalenz war bei den Eltern mit 1,8% niedrig (95%-Konfidenzintervall [KI] 1,2–2,4%).
  • Bei Kindern war sie mit 0,6% dreimal niedriger (95%-KI 0,3–1,0%).
  • Unter 56 Familien mit mindestens einem positiv getesteten Kind oder Elternteil war die Kombination „Elternteil positiv, Kind negativ“ 4,3-mal höher (95%-KI 1,19–15,52) als die Kombination „Elternteil negativ, Kind positiv“.

Die geringe Seroprävalenz von SARS-CoV-2-Antikörpern bei kleinen Kindern in dieser Studie kann den Autoren zufolge darauf hindeuten, dass sie während der aktuellen Pandemie keine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung von SARS-CoV-2 spielen.

Keine Studie ohne Limitationen

Die Studie wurde während des ersten Lockdowns durchgeführt. Es wäre also nicht auszuschließen, dass die geringere Rate seropositiver Kinder auch auf eine verringerte Exposition zurückzuführen ist. Allerdings waren Kinder, die in dieser Zeit eine Notfallbetreuung besuchten – insgesamt knapp ein Viertel (23 %) – nicht häufiger seropositiv als Kinder, die zu Hause betreut wurden:

  • 3 von 580 Kindern, die eine Notbetreuung besuchten (0,5%) versus
  • 19 von 1863 Kindern, die zu Hause betreut wurden (1,0%)

Dieser Unterschied war nicht signifikant. Die Autoren nehmen daher an, dass die Kontaktbeschränkungen von Kindern den auffälligen Unterschied in der Seropositivität zwischen Kindern und Erwachsenen nicht erklären können.

Da nur Kinder bis 10 Jahre einbezogen wurden, kann kein Rückschluss auf ältere Kinder gezogen werden. Außerdem erlaubt das Studiendesign keine Rückschlüsse auf die Infektiosität eines mit SARS-CoV-2 infizierten Kindes.

To Spread or Not to Spread

„Können Kinder COVID-19 verbreiten?“, wurde im Laufe der Pandemie häufig gefragt. Im begleitenden Editorial zur Studie betont der Pädiater Sean O‘Leary, Aurora/Colorado/USA, dass selten etwas in der Medizin binär sei: Eine Frage, die mit „kann“ beginne, müsse fast immer „Ja“ zur Antwort haben. Er bedauert, dass in vielen Teilen der Welt die Entscheidung, Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen zu schließen, die Nuancen ignoriert habe, die zum Verständnis der Frage erforderlich seien.

Inzwischen deutet vieles darauf hin, dass Kinder bis 10 Jahre sich sowohl weniger wahrscheinlich mit SARS-CoV-2 infizieren als auch weniger wahrscheinlich auf andere übertragen. O‘Leary plädiert daher für die Wiedereröffnung von Kinderbetreuungseinrichtungen und Grundschulen mit Präsenzunterricht.

Auch meinem Kollegen zufolge sollten Schulschließungen das letzte Mittel der Wahl sein.

Quelle

Tönshoff B et al. Prevalence of SARS-CoV-2 Infection in Children and Their Parents in Southwest Germany. JAMA Pediatr. Published online January 22, 2021. doi:10.1001/jamapediatrics.2021.000