Anmerkung der Redaktion: Die hier diskutierte Studie wurde von den Autoren mittlerweile zurückgezogen (Stellungnahme der Autoren lesen)
Eine Registeranalyse von 96032 Patienten mit COVID-19-Infektion zeigte keinen Nutzen von Hydroxychloroquin oder Chloroquin, wenn die beiden Medikamente allein oder zusammen mit einem Makrolid gegeben wurden. Diese Behandlungsschemata waren mit einer erhöhten Sterblichkeit im Krankenhaus und einer erhöhten Häufigkeit von ventrikulären Arrhythmien assoziiert.
Hydroxychloroquin oder Chloroquin mit oder ohne Makrolide zur Behandlung der COVID-19 Infektion
Die Malariamittel Hydroxychloroquin oder Chloroquin werden entweder allein oder in Kombination mit einem Makrolid der zweiten Generation für die Behandlung der SARS-CoV-2-Infektion eingesetzt, obwohl es bisher keinen schlüssigen Beweis für den therapeutischen Nutzen gibt. Die Therapie wurde auch vom Präsidenten der USA empfohlen.
Eine multinationale Registeranalyse
Bei der hier diskutierten Studie handelte es sich um die Auswertung eines multinationalen Registers von Patienten mit COVID-19. Die Autoren untersuchten den Einsatz von Hydroxychloroquin oder Chloroquin mit oder ohne Makrolide. Dafür nutzen sie ein Register mit Daten von 671 Krankenhäusern in sechs Kontinenten. Eingeschlossen wurden Patienten, die zwischen dem 20. Dezember 2019 und dem 14. April 2020 ins Krankenhaus eingeliefert wurden und eine im Labor nachgewiesene Infektion mit SARS-CoV-2 hatten. Für die Analyse wurden Patienten berücksichtigt, die innerhalb von 48 Stunden nach der Diagnose eine der genannten Behandlungen erhielten, und in folgende Therapiegruppen eingeteilt:
- Chloroquin allein
- Chloroquin mit einem Makrolid
- Hydroxychloroquin allein
- Hydroxychloroquin mit einem Makrolid
Die Kontrollgruppe umfasste Patienten, die keine dieser vier Therapien erhielten.
Nicht berücksichtigt wurden Patienten mit Behandlungsbeginn >48 Stunden nach der Diagnose, Patienten, die beatmet wurden, sowie Patienten, die Remdesivir erhielten. Die wichtigsten Endpunkte der Studie waren die Sterblichkeit im Krankenhaus und das Auftreten von de novo ventrikulären Arrhythmien (nicht anhaltende oder anhaltende ventrikuläre Tachykardien oder Kammerflimmern).
Höhere Mortalität
96032 Patienten mit COVID-19 wurden während der Studie ins Krankenhaus aufgenommen. Das mittlere Alter betrug 53,8 Jahre und 46,3% waren Frauen. Davon befanden sich 14888 Patienten in einer der vier Behandlungsgruppen:
- 1868 Patienten erhielten Chloroquin,
- 3783 Chloroquin mit einem Makrolid,
- 3016 Hydroxychloroquin und
- 6221 Hydroxychloroquin mit einem Makrolid.
81144 Patienten befanden sich in der Kontrollgruppe.
10698 (11,1%) der Patienten starben in Krankenhaus. Nach Korrektur für die wichtigsten Confounder wie Alter, Geschlecht, Ethnie, BMI, vorbestehende Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ihre Risikofaktoren, Diabetes mellitus, vorbestehende Lungenerkrankungen, Rauchen, immunsuppressive Therapie und Schweregrad der Grunderkrankung war die Sterblichkeit in den vier Therapiegruppen signifikant höher als in der Kontrollgruppe:
- Kontrollgruppe 9,3%
- Hydroxychloroquin 18,0% (Hazard-Ratio [HR] 1,34; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,22–1,46),
- Hydroxychloroquin mit einem Makrolid 23,8% (HR 1,45; 95-KI 1,37-1,53)
- Chloroquin 16,4% (HR 1,37; 95%-KI 1,22-1,53)
- Chloroquin mit einem Makrolid 22,2% (HR 1,37; 95%-KI 1,27-1,47)
Verglichen mit der Kontrollgruppe (0,3%) zeigten die vier Therapiegruppen ein erhöhtes Risiko für de novo entwickelte ventrikuläre Arrhythmien während des Krankenhausaufenthalts:
- Hydroxychloroquin 6,1%
- Hydroxychloroquin mit einem Makrolid 8,1%
- Chloroquin 4,3%
- Chloroquin mit einem Makrolid 6,5%
Kommentar
Chloroquin und Hydroxychloroquin mit oder ohne Makrolide werden bei der SARS-CoV-2-Infektion unter der Vorstellung eingesetzt, dass die Substanzen antivirale Eigenschaften haben. Daher wurden die beiden Medikamente bereits in vielen Ländern zur Behandlung von COVID-19 eingesetzt, obwohl es bisher keine Daten zur Wirksamkeit gab. Auch der amerikanische Präsident und der Präsident von Brasilien empfahlen den Einsatz der beiden Malariamittel in ihren Ländern. Von beiden Substanzen ist bekannt dass sie potenziell kardiotoxisch sind und zu einer QT-Zeit-Verlängerung mit schwerwiegenden Arrhythmien führen können.
In der vorliegenden großen Registerstudie zeigte sich eine erhöhte Mortalität von Patienten, die mit dem beiden Malariamitteln mit oder ohne Makrolid behandelt wurden. Die Ergebnisse sind relativ robust, obwohl es sich nicht um eine Placebo-kontrollierte Studie gehandelt hat. Erwartungsgemäß waren in allen vier Therapiegruppen schwerwiegende kardiale Arrhythmien häufiger als in der Vergleichsgruppe. Die Studie zeigte darüber hinaus die bereits bekannten Prädiktoren für eine erhöhte Mortalität, beispielsweise höheres Alter, Übergewicht, männliches Geschlecht und vorbestehende Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, Hypertonie, Hyperlipidämie, COPD und Rauchen. Die Einnahme von ACE-Hemmern reduzierte das Sterblichkeitsrisiko und die Einnahme von Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten war neutral.
Als Konsequenz aus dieser Registerstudie wurden in vielen Ländern die derzeit laufenden Placebo-kontrollierten Studien zu Hydrochloroquin und Chloroquin bei der Behandlung von COVID-19 abgebrochen.
Quelle
Mehra MR, Desai SS, Ruschitzka F, Patel AN. Hydroxychloroquine or chloroquine with or without a macrolide for treatment of COVID-19: a multinational registry analysis. Lancet 2020. Published: May 22, 2020 DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)31180-6
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