Risikopersonen im Vorfeld zu identifizieren und so zu behandeln, dass die Erkrankung gar nicht erst zu Symptomen und Folgeschäden führt – das könnte bei Rheuma funktionieren. Erste Forschungsansätze geben Hoffnung.
Steigende Prävalenz
Bis zu 2,1 Millionen Erwachsene in Deutschland leben mit einer rheumatischen Erkrankung, so eine Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh). Studien bestätigen zudem eine Zunahme von rheumatischen und anderen Autoimmunkrankheiten. Auf der Vorabpressekonferenz im Rahmen des Deutschen Rheumatologiekongresses, der vom 30. August bis 2. September 2023 in Leipzig stattfinden wird, berichtete Rotraut Schmale-Grede, Präsidentin der Selbsthilfeorganisation Deutsche Rheuma-Liga: „Im Durchschnitt dauert es 18 Monate, bis ein Betroffener von einer rheumatoiden Arthritis nach Symptombeginn bei einem Rheumatologen in die Versorgung kommt, bei Psoriasis-Arthritis sind es 29, bei axialer Spondyloarthritis sogar 67 Monate.“ Folgenschwer, denn:
Je früher eine spezifische Therapie bei entzündlichem Rheuma beginnt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Erkrankung mildert, ihren Verlauf verlangsamt oder im günstigsten Fall zum Stillstand bringt.
Risikopatienten identifizieren
Professor Dr. med. Andrea Rubbert-Roth, St. Gallen, stellte Forschungsansätze zur Früherkennung und präventiven Behandlung vor. In einer Phase-IIb-Studie wurde untersucht, inwieweit die Manifestation von Rheuma bei identifizierten Risikopatienten noch vor den ersten Symptomen unterbunden werden kann.
Es gebe zwar keine prädiktiven Marker, die valide und verlässlich Risikopersonen identifizieren könnten. Sogar der Nachweis von Rheumafaktoren und ACPA (Antikörper gegen citrullinierte Peptide) ohne gleichzeitige muskuloskelettale Beschwerden bedeute nicht zwangsläufig, dass sich später eine rheumatoide Arthritis (RA) entwickle. In der Pathophysiologie der ACPA-positiven RA gehe man jedoch heute davon aus, dass ACPA zunächst außerhalb der Gelenke entstehen. Eine schon ältere Untersuchung an Blutspendern konnte zeigen, dass bei einem Teil derjenigen Personen, die später eine RA entwickeln, bis zu zehn Jahre vor den ersten Symptomen bereits ACPA und/oder Rheumafaktoren nachgewiesen werden konnten.
MTX: Nicht verhindern, aber mildern
So sei die Frage naheliegend, ob Methotrexat (MTX), initiale Standardtherapie einer RA, bei Risikopatienten eine RA verhindern könne. In einer niederländischen Studie wurden 236 Patienten mit im MRT erkennbaren Gelenkentzündung und geschätztem hohem RA-Risiko auf eine Therapie mit einmalig Methylprednisolon intramuskulär und nachfolgend über ein Jahr oral MTX bzw. Placebo randomisiert.
Nach zwei Jahren fand sich kein Unterschied zwischen beiden Gruppen, nahezu jeder fünfte Proband entwickelte eine RA. Allerdings waren einige patientenbezogene Parameter wie die subjektive Funktionsfähigkeit, Schmerz oder Morgensteifigkeit sowie die Entzündungszeichen im MRT in der MTX-Gruppe besser. Die Autoren folgern, dass MTX zwar nicht das Auftreten einer klinischen RA verhindere, jedoch den frühen Krankheitsverlauf modifizieren könne.
Ansatz Nummer 2: Abatacept
In zwei weiteren Studien erhielten Probanden frühzeitig Abatacept im Vergleich zu Placebo. Sie wiesen ACPA bzw. Rheumafaktoren im Serum und gelenkbezogene Entzündungszeichen in der Bildgebung auf sowie muskuloskelettale Beschwerden wie Gelenkschmerzen ohne erkennbare Schwellungen oder Sehnenscheidenentzündungen, die für sich alleine nicht die Diagnose einer RA erlauben.
In der ARIAA-Studie wurden 49 Patienten mit einem sehr hohen Risiko für die Entwicklung einer RA und dem Nachweis von ACPA, Arthralgien über mehr als 6 Wochen sowie entzündliche Veränderungen im MRT der dominanten Hand untersucht. Sie erhielten Abatacept wöchentlich subkutan oder Placebo über sechs Monate. Der primäre Endpunkt, die Verbesserung in mindestens einem MRT-Parameter nach sechs Monaten, wurde signifikant häufiger unter Abatacept (61,2%) im Vergleich zu Placebo (30,6%) erreicht. Die Entwicklung einer klinischen RA wurde signifikant seltener unter Abatacept (8,2% vs. 34,7%) beobachtet. Zwölf Monate nach Therapieende, wurde eine RA bei 35% der Abatacept-Patienten und bei 57% aus der Placebo-Gruppe beobachtet. Auch die MRT-Ergebnisse nach 18 Monaten waren in der Verum-Gruppe besser. Fazit der Studienautoren: Das Auftreten einer klinischen RA bei Patienten mit einer Risikokonstellation konnte mit einer zeitlich limitierten Intervention verhindert werden.
Ähnliche Ergebnisse zeigt die APIPPRA-Studie mit 213 Teilnehmern mit Arthralgien, ohne Arthritis, und entweder hochpositiven ACPA oder doppelt positiv für ACPA und Rheumafaktoren. Die zwölfmonatige Therapie bestand wie in ARIAA in 125 mg Abatacept pro Woche subkutan oder Placebo. Nach 52 Wochen erreichten den primären Endpunkt, die Entwicklung einer RA oder eine Arthritis in mehr als drei Gelenken, signifikant weniger Patienten unter Abatacept (6% vs. 29%). Nach dem zweiten Jahr war der Unterschied immer noch statistisch signifikant.
Beide Studien zeigen, dass eine Frühintervention bei Hochrisikopatienten möglich ist und gut toleriert wird. Sie zeigen aber auch, dass der Benefit im Laufe der Zeit nach einer Therapiepause geringer werde.
Allerdings sei Abatacept für diese Indikation nicht zugelassen, ergänzte Rubbert-Roth.
Quelle
Rotraut Schmale-Grede, Professor Dr. med. Andrea Rubbert-Roth. Kann die Manifestation von Rheuma bei Risikopatienten noch vor den ersten Symptomen unterbunden werden? Online-Vorabpressekonferenz anlässlich des Deutschen Rheumatologiekongresses 2023 am 23. August 2023.