Der Zahn der Zeit nagt auch am Immunsystem. Daraus entstehende Fehlregulationen erhöhen das Risiko für rheumatische Erkrankungen – zunehmend auch bei jungen Menschen.
LORA durch alterndes Immunsystem
Bei Autoimmunerkrankungen richtet sich die körpereigene Abwehr gegen eigene Gelenke, Gewebe und Organe. Dabei spiele das Immunsystem eine wesentliche Rolle – und das sei Alterungsprozessen unterworfen, erläuterte Prof. Dr. med. Ulf Wagner im Rahmen der Vorabpressekonferenz des Deutschen Rheumatologiekongresses, der vom 30. August bis 2. September 2023 in Leipzig stattfindet. So arbeite das ältere Immunsystem nicht mehr so effizient, es komme zu eingeschränkten Funktionen und Fehlfunktionen, etwa vermehrten Entzündungsaktivitäten durch ein hyperaktiviertes Immunsystem.
Entsprechend steige die Häufigkeit vieler rheumatischer Erkrankungen mit zunehmendem Lebensalter. Bei der häufigsten rheumatischen Autoimmunerkrankung, der rheumatoiden Arthritis (RA), nehme ab dem 60. Lebensjahr die Prävalenz deutlich zu. Als Sonderform LORA (Late Onset Rheumatoid Arthritis) sei sie häufig durch einen sehr schnellen und hochakuten Krankheitsbeginn gekennzeichnet sowie durch einen besonders schweren, Gelenk-destruierenden Verlauf.
Dreh- und Angelpunkt: T-Zellen
Bisher seien altersbedingte Veränderungen besonders detailliert auf dem Gebiet der T-Zell-Immunologie erforscht. Diese stünden mit einer Vielzahl genetischer Faktoren der Krankheitsentstehung in Verbindung, z. B. HLA-DR4-Assoziation und PTPN22-Assoziation. Die Gesamtheit aller T-Zellen bei RA-Patienten weise Veränderungen auf, die üblicherweise erst im höheren Alter auftreten.
Man spricht von der sogenannten Immunoseneszenz.
Darunter fallen ein Verlust sogenannter naiver, noch nie in eine Abwehrreaktion eingebundener, T-Zell-Populationen sowie die Entstehung großer T-Zell-Klone, die alle aus einer einzelnen autoreaktiven Vorläuferzelle hervorgegangen sind. Solche „vorgealterten Zellen“ zeichneten sich häufig durch eine besonders schnell auslösbare entzündliche und schädliche Produktion von Botenstoffen und destruierenden Mechanismen aus, so Wagner. Darüber hinaus scheinen vorgealterte Zellen des sogenannten angeborenen Immunsystems, zum Beispiel Monozyten und Makrophagen, eine Rolle zu spielen.
Spezifische therapeutische Hemmstoffe dieser T-Zellen zeigten eine sehr gute Wirksamkeit in der Behandlung.
Gute Therapie für Senioren wichtig
Alterungsprozesse bergen viele Veränderungen, die sowohl in der Therapie als auch in der Krankheitsentstehung oder deren Verlauf eine wichtige Rolle spielen.
Als abzuleitende ärztliche Konsequenz ergibt sich zunächst die Notwendigkeit, gerade bei älteren und hochbetagten Patienten das mögliche Neuauftreten einer rheumatischen Erkrankung immer im Blick zu halten, diese zügig zu diagnostizieren und alsbald konsequent zu behandeln.
Leider seien viele Arzneimittel nicht an älteren Patienten geprüft, die oft Komorbiditäten und Begleitmedikationen mitbrächten, so der Referent. Genau wie bei jüngeren Patienten beginne die Behandlung mit Methotrexat, aber es seien individuelle Risikotherapiestrategien besonders systematisch zu betrachten.
Mehr Alterserscheinungen bei Jüngeren
Solche Alterungs-assoziierten Veränderungen, die normalerweise jenseits des 60. Lebensjahrs vorkommen, treten immer häufiger bei jungen Patienten mit Erkrankungsbeginn zwischen dem 25. und 40. Lebensjahr auf. Hier bestehe Forschungsbedarf, um derartige Zusammenhänge künftig besser zu verstehen und langfristig zugunsten der Therapiemöglichkeiten nutzen zu können, sagte Wagner. Therapien, die an der Ursache der Alterungsprozesse angreifen, gebe es momentan nicht. Denkbar seien klinische Studien zur Beseitigung vorgealterter Zellen und eventuell zur „Verjüngung“ des Immunsystems.
Quelle
Professor Dr. med. Ulf Wagner. Alter und Rheuma: Mit den Lebensjahren verändert sich das Immunsystem und leistet rheumatischen Erkrankungen Vorschub – was kann die Medizin dagegen tun? Online-Vorabpressekonferenz anlässlich des Deutschen Rheumatologiekongresses 2023 am 23. August 2023.