Typ-2-Diabetes lässt das Gehirn schneller altern

Typ-2-Diabetiker büßen kognitive Fähigkeiten deutlich schneller ein als gesunde Menschen mit normalem Alterungsprozess. Besonders deutlich war der Unterschied in der Atrophie der grauen Gehirnsubstanz. Die Autoren der aktuellen Metaanalyse sehen den Grund dafür in einer neuronalen Insulinresistenz.

Hintergrund der Metaanalyse

Diabetes mellitus Typ 2 (DMT2) ist mit neurobiologischen und kognitiven Einbußen verbunden. Die Ergebnisse mehrere Neuroimaging-Studien lieferten bereits Hinweise darauf, dass DMT2 eine Atrophie des Gehirns begünstigt. Dabei treten die kognitiven Dysfunktionen schneller auf als es durch normale Alterungsprozesse der Fall wäre. Allerdings sind das Ausmaß der Neurodegeneration, eine potenzielle Überlappung mit typischen Alterungsprozessen und der Einfluss von Metformin auf die Gehirnstruktur und -funktion relativ unbekannt. Daher beabsichtigten die Autoren mit der vorliegenden Metaanalyse diese Informationslücken zu schließen.

Design der Biobank-Studie

Die zentrale Frage lautete: Welche neurodegenerativen Effekte sind spezifisch für DMT2 und welche sind auf typische Alterungsprozesse zurückzuführen? Um die Unterschiede herauszufiltern, nutzen die Autoren zunächst die UK Biobank, eine Datenbank mit dem aktuell größten neurokognitiven Datenset von Patienten im Alter von 50 bis 80 Jahren. Mithilfe von MRT-Scans quantifizierte das Forschungsteam den Volumenverlust von grauer Substanz. Anschließend führten die Wissenschaftler eine Metaanalyse durch, in der sie die kognitive Leistung von DMT2-Patienten mit gesunden Kontrollpersonen aus der UK Biobank verglichen. Darüber hinaus untersuchten sie, ob

  • die Krankheitsdauer einen Einfluss auf die neurokognitiven Defizite hatte.
  • sich Metformin positiv auf die Gehirnstruktur und -funktion auswirkt.
  • das Geschlecht einen Einfluss auf die Ergebnisse hat.

Ergebnisse

Kognition korreliert mit Alter, aber noch stärker mit Typ-2-Diabetes

Kognitive Einbuße waren in der UK Biobank altersabhängig über alle Gehirnregionen hinweg erkennbar. Allerdings erkannte das Forschungsteam fünf Gehirnregionen, die besonders von einer Neurodegeneration betroffen waren, darunter:

  • Abstraktes Denken
  • Exekutivfunktion (wichtig für Lernen, Treffen von Entscheidungen, zielgerichtetes Verhalten)
  • Reaktionszeit
  • Verarbeitungsgeschwindigkeit
  • Zahlengedächtnis

Die stärksten altersabhängigen Veränderungen bei stoffwechselgesunden Personen beobachteten die Autoren in der Exekutivfunktion (–1,9 % Leistung/Jahr) und der Verarbeitungsgeschwindigkeit (–1,5 % Leistung/Jahr). Den stärksten DMT2-spezifischen Effekt im Alter stellten die Autoren zwar in denselben Bereichen, aber in deutlich stärkerem Ausmaß fest (–13,1 % bzw. –6,7 % Leistung/Jahr). Etwas moderater fiel der Rückgang im Bereich Zahlengedächtnis aus. Dagegen waren die Ergebnisse in den Regionen, die für abstraktes Denken und die Reaktionszeit verantwortlich sind, statistisch nicht signifikant.

Atrophie der grauen Substanz

Bei den gesunden Kontrollpersonen nahm die graue Hirnsubstanz linear mit dem Alter und vor allem im ventralen Striatum um –1,0 % pro Jahr ab. Dieser Bereich ist wichtig für Lernprozesse. Im Gegensatz dazu zeigten DMT2-Patienten einen stärkeren Rückgang in der grauen Substanz als es durch typische altersbezogene Effekte der Fall war. Die schwerste Atrophie fanden die Autoren ebenfalls im ventralen Striatum (durchschnittlich –6,2%), daneben jedoch auch in weiteren Bereichen wie dem Cerebellum (–4,9%) sowie im Putamen (–4,7 %).

Krankheitsdauer verschlechtert Neurokognition

Die kognitive Leistungsfähigkeit war umso schlechter, je länger die Patienten an DMT2 litten. Das galt insbesondere für die strukturellen Veränderungen im Gehirn. In Zahlen bedeutet das, dass eine DMT2-Progression im Vergleich zu gesunden, normal alternden Kontrollpersonen zu einer Beschleunigung der Atrophie der grauen Hirnsubstanz von 26 % pro Jahr führte.

Einfluss von Metformin

Die Autoren konnten keinen Unterschied in der Atrophie und der kognitiven Leistung zwischen mit Metformin therapierten und unbehandelten DMT2-Patienten beobachten. Eine Metformin-Monotherapie hatte somit keinen Einfluss auf die Gehirnaktivität.

Geschlechtsspezifische Auswirkungen

Die Auswirkungen eines DMT2 auf das Gehirn waren sowohl bei Frauen als auch bei Männern die gleichen. Interessanterweise waren sie beim vermeintlich stärkeren Geschlecht jedoch ausgeprägter. Dieses Ergebnis ist den Autoren zufolge wahrscheinlich auf die neuroprotektiven Effekte des weiblichen Sexualhormons Estrogens zurückzuführen.

Ein potenzieller Erklärungsansatz

Glucose ist der wichtigste Energieträger für das Gehirn. DMT2 vermindert jedoch deren Verfügbarkeit im Gehirn (neuronale Insulinresistenz). Die Autoren vermuten, dass dieser chronische Energiemangel für die Umbauprozesse im Gehirn verantwortlich sein könnte. Darüber hinaus vermuten sie, dass diese neuronale Insulinresistenz zum Zeitpunkt der DMT2-Diagnose bereits zu signifikanten neurokognitiven Schäden geführt haben könnte. Warum sind dann aber nicht alle Regionen gleich stark von einer Neurodegeneration betroffen? Das könnte daran liegen, dass die Konzentrationen von insulinabhängigen GLUT-4-Transportern im ventralen Striatum und Cerebellum am höchsten ist. Folglich wirkt sich eine Insulinresistenz in diesen Bereichen am stärksten aus. Im Vergleich dazu kommen in anderen Gehirnregionen vermehrt die nicht insulinabhängigen Isoformen GLUT-1 und GLUT-3 vor, weshalb diese Bereiche von Umbauprozessen und einer Atrophie der grauen Hirnsubstanz eher verschont bleiben.

Fazit

DMT2 war eindeutig mit einer stärkeren Atrophie der grauen Substanz assoziiert. Die strukturellen und funktionellen Veränderungen unter DMT2 korrelierten zwar bis zu einem bestimmten Grad mit dem Alter, traten jedoch deutlich früher auf und waren umso schwerwiegender, desto länger die Krankheit bereits andauerte. Aktuell spielt eine neurokognitive Evaluation in der Diabetestherapie überhaupt keine Rolle, denn der Fokus liegt bisher eindeutig auf dem HbA1c-Wert. Die Ergebnisse zeigen aber, dass eine strukturelle Bildgebung des Gehirns eine klinisch wertvolle Methode für die Identifizierung und das Monitoring neurodegenerativer Effekte bei T2DM-Patienten wäre. Klinische, Neuroimaging-basierende Biomarker könnten daher einen wertvollen Beitrag in der zukünftigen Diabetestherapie leisten.

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Quelle

Antal B, et al. Type 2 diabetes mellitus accelerates brain aging and cognitive decline: Complementary findings from UK Biobank and meta-analyses. eLife 2022; doi.org/10.7554/eLife.73138.