Migränetherapie: Was gibt es Neues?

Auf dem 5. Apotheker-Ärzte-Symposium im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses in Mannheim stellte Prof. Dr. Tobias Freilinger, Passau, neue Ansätze in der Therapie und Prävention der Migräne vor.

Migräne – ein globales Gesundheitsproblem

Migräne hat eine hohe Prävalenz und ist durch die hohen sozioökonomischen Konsequenzen ein globales Gesundheitsproblem. Betroffen sind vor allem junge Erwachsene; davon am häufigsten Frauen. Häufig leiden die Betroffenen an weiteren neurologischen oder neuropsychiatrischen Begleiterkrankungen wie Epilepsie, Depressionen, Restless-Legs-Syndrom oder Schlaganfall.
Die Migräne, als primäre Kopfschmerzerkrankung, ist ein multifaktorielles Krankheitsbild, das sowohl vonUmweltfaktoren, als auch einer genetischen Prädisposition verursacht wird. Mittlerweile sind mehr als 30 Genorte (Loci) bekannt, die im Zusammenhang mit häufigen Migräneformen stehen.

Diagnostische Kriterien

Eine typische Migräneattacke dauert 4 bis 72 Stunden. Das Hauptsymptom ist ein einseitiger, pochender Schmerz mit einer mittleren bis schweren Symptomatik. Bei körperlicher Belastung (z. B. Treppensteigen) nimmt dieser Schmerz zu. Begleitsymptome sind Lärm- und Lichtempfindlichkeit sowie Übelkeit und/oder Erbrechen.

Wann ist eine Migräne chronisch?

In Europa leiden etwa 1,4 bis 2,2% der Migränepatienten unter einer chronischen Migräne. Eine Migräne ist dann chronisch, wenn die Betroffenen an mehr als 15 Tagen innerhalb von drei Monaten an Kopfschmerzen leiden, darunter an mehr als 8 Tage mit Migräneeigenschaften.
Für die Diagnostik einer chronischen Migräne ist das Führen eines Kopfschmerzkalenders die Ausgangsbasis, um sowohl die Häufigkeit als auch Charakteristik der Migräneattacken zu bestimmen. Nur so kann eine passende Arzneimitteltherapie erfolgen.

Prophylaxe der chronischen Migräne

Ein wichtiger Bestandteil der Migräneprophylaxe sind Psychoedukation, Entspannungsverfahren, Sport und eine Verhaltenstherapie.
Zu den Leitsubstanzen für eine medikamentöse Migräneprophylaxe gehören Betablocker, Flunarizin, Valproat und Topiramat. Auch Amitriptylin und Onabotulinumtoxin A kommen hier zum Einsatz.
Hauptproblem bei der medikamentösen Prophylaxe ist die schlechte Verträglichkeit, was zu einer niedrigen Adhärenz führt. Bereits nach sechs Monaten nehmen nur noch weniger als ein Drittel der Patienten ihre Medikamente regelmäßig ein. Hinzu kommt, dass die meisten dieser Arzneimittel einen verzögerten Wirkungseintritt besitzen und die Wirkungsstärke überschaubar ist.

Wunsch nach spezifischer Migränetherapie

Die Standard-Migräneprophylaxe wird mit Arzneistoffen durchgeführt, die nicht spezifisch bei der Migräne wirken, sondern auch bei anderen Indikationen zum Einsatz kommen.
Bereit 1982/83 wurde das Calcitonine gene related peptide (CGRP) als Vasodilatator entdeckt, das nach einer Infusion sowohl Kopfschmerzen verursacht, als auch bei Migräneattacken erhöht ist.
Mittlerweile stehen in Europa mit den CGRP-Antikörpern Erenumab (Aimovig®), Galcanezumab (Emgality®) und Fremanezumab (Ajovy®) spezifische Arzneistoffe zur subkutanen Behandlung der chronischen Migräne zur Verfügung. In den USA ist zudem Eptinezumab (Vyepti™) für die i.v.-Behandlung der chronischen Migräne zugelassen. Auch bei der akuten Migräne scheint es aktuellen Studien zufolge zu wirken.
Sowohl bei der Wirksamkeit als auch Verträglichkeit scheint es kaum einen Unterschied zwischen den einzelnen Antikörpern zu geben. Die Wirkung tritt innerhalb von einigen Tagen ein und zeigt sich auch bei Patienten, die unter 2 bis 4 Standardprophylaktika nicht angesprochen haben. Typische unerwünschte Wirkungen sind Lokalreaktionen an der Einstichstelle, Obstipation oder Muskelschmerzen.

Für wen kommen CGRP-Antikörper in Frage?

CGRP-Antikörpern kommen zum Einsatz, wenn Standardtherapeutika zur Migräneprophylaxe unwirksam sind, eine Unverträglichkeit oder bestimmte Kontraindikationen vorliegen. Dazu gehören beispielsweise chronisch entzündliche Darmerkrankungen, koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder Schwangerschaft und Stillzeit. Die Migräneprophylaxe mit CGRP-Antikörpern ist bereits  bei episodischer Migräne (≥ 4 Tage/Monat) indiziert. Nach dreimonatiger Therapiedauer wird die Wirksamkeit evaluiert. Wird sie nachgewiesen, sollte nach 6 bis 9 Monaten eine Therapiepause in Erwägung gezogen werden.

Was gibt es Neues?

Bereits 2004 gab es den Versuch, kleinmolekulare CGRP-Antagonisten, sogenannte Gepante, für die orale Therapie auf den Markt zu bringen. Die beobachtete Hepatotoxizität bedeutete jedoch zunächst das Aus für die Gepante.
Mit Ubrogepant, Zavegepant oder Rimegepant bei der Akuttherapie und Atogepant und Remegepant für die Migräneprophylaxe stehen mittlerweile neue Gepante in der Pipeline, bei denen es bislang keinen Hinweis auf eine Hepatotoxizität gibt. Als unerwünschte Wirkung wird vor allem Übelkeit beobachtet.

Weitere, vielversprechende Therapeutika sind die Ditane, 5-HT1F-Agonisten. Bei ihnen treten, im Gegensatz zu den Triptanen (5-HT1B/D-Agonisten), seltener vaskuläre Nebenwirkungen auf. In den USA ist Lasmiditan (Reyvow®) für die Akuttherapie bei Migräne und Kontraindikation gegenüber Triptanen zugelassen. Limitierende Nebenwirkungen betreffen das ZNS, darunter Benommenheit und Schwindel.

Quelle

Prof. Dr. Tobias Freilinger, Passau: „Migräne: Neue Ansätze in der Therapie und Prävention“ im Rahmen des Arzt-Apotheker-Symposiums beim Deutschen Schmerzkongress, Mannheim, 21. Oktober 2021.