Migräne ist nicht nur mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko verbunden, sondern auch mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Doch welche Pathomechanismen stecken dahinter?
Risikofaktoren bei Migränepatienten
Migränepatienten haben ein erhöhtes Risiko für einen ischämischen Schlaganfall. Privatdozent Dr. Lard Neeb, Berlin, gab auf dem diesjährigen Schmerzkongress in Mannheim einen Überblick über die derzeitige Studienlage.
Das Schlaganfallrisiko bei Migränepatienten ist besonders dann erhöht, wenn noch weitere Faktoren hinzukommen:
- Migräne mit Aura (2-fach)
- Alter < 45 Jahre (3,65-fach)
- Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva (7-fach)
- Rauchen (9-fach)
Auch das kardiovaskuläre Risiko ist erhöht
Die Ergebnisse von Langzeit-Kohortenstudien zeigen aber auch einen Zusammenhang zwischen Migräne und dem Auftreten anderer kardiovaskulärer Ereignisse.
Erst im letzten Jahr haben Daten der Women‘s Health Study das bestätigt. Mehr als 27.000 Frauen über 45 Jahre wurden im Mittel 22,6 Jahre lang beobachtet. Die Inzidenz für schwerwiegende kardiovaskuläre unerwünschte Ereignisse (Herzinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulär bedingter Tod) betrug bei Migränepatientinnen mit Aura 3,36 pro 1000 Personenjahre. Bei Migränepatientinnen ohne Aura gab es keinen Unterschied im Vergleich zu Frauen ohne Migräne. Nach Diabetes und Rauchen war Migräne mit Aura der wichtigste vaskuläre Risikofaktor.
Gestörte Endothelfunktion als Migräneursache?
Schäden an der weißen Substanz, sogenannte White Matter Lesions (WML), treten bei Migränepatienten mit Aura häufiger auf. Auch hängt deren Anzahl mit dem Schlaganfallrisiko zusammen; hier besonders bei Migränepatientinnen mit Aura. Selbst bereits bei Kindern mit Migräne werden diese WML beobachtet.
Sie beruhen wahrscheinlich auf einer Störung der mikrostrukturellen Integrität. Folgen sind eine endotheliale Dysfunktion und reduzierte zerebrovaskuläre Reaktivität.
Eine gestörte Endothelfunktion ist mit kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert. Denn das Endothel hat zahlreiche Funktionen:
- Regulation des Flüssigkeits- und Molekülaustauschs zwischen Blut und Gewebe
- Gerinnungskontrollierende Eigenschaften
- Vaskuläre Homöostase und Reparatur
- Kontrolle des vaskulären Tonus und des Blutflusses
Privatdozent Dr. Thomas Liman, Berlin, stellte verschiedene Messmethoden vor, mit denen eine gestörte Endothelfunktion bestimmt werden kann.
Zu ihnen gehören die Bestimmung der flussvermittelten Dilatation mittels Ultraschall und die periphere arterielle Tonometrie mit EndoPAT. Beide Methoden beruhen darauf, dass durch das Anlegen einer Blutdruckmanschette am Oberarm eine Ischämie ausgelöst wird. Nach dem Lösen der Manschette wird die Änderung des Blutflusses bzw. der Pulswelle bestimmt.
Die Studienlage zur gestörten Endothelfunktion bei Migränepatienten ist uneinheitlich. In einigen Studien konnte jedoch gezeigt werden, dass die arterielle Steifigkeit bei Migränepatientinnen mit Aura erhöht war.
Auch gibt es Hinweise auf eine erniedrigte zerebrovaskuläre Funktion in den hinteren Hirnstromgebieten bei Migränepatienten. Sie kann zum Beispiel durch eine Bestimmung des zerebrovaskulären Blutflusses mittels Dopplersonographie vor und nach dem Luftanhalten (Hyperkapnie) bestimmt werden.
Biomarker und mehr
Auch konnten inzwischen Biomarker auswendig gemacht werden, die bei Migränepatienten signifikant verändert waren. Dazu gehören der Nitrat-Nitrit-Quotient, die von-Willebrandt-Faktor-Aktivität und der CRP-Wert.
Mittlerweile liefern auch genomweite Assoziationsstudien wichtige Informationen über Gene und deren Mutationen, die bei einer hemiplegischen Migräne oder der kortikalen Streudepolarisierung (cortical spreading depolarisation; z. B. bei einer Aura oder einem Schlaganfall) eine wichtig Rolle zu spielen scheinen.
Nach wie vor gilt: Reduktion weiterer Risikofaktoren
Da die therapeutischen Konsequenzen im Augenblick unklar sind, muss dringend geklärt werden, ob bei Migränepatienten – und hier besonders bei Frauen mit einer Migräne und Aura – eine medikamentöse Prophylaxe das kardiovaskuläre Risiko senken kann. Im Augenblick gilt, vor allem Migränepatientinnen mit Aura, auf das erhöhte Schlaganfallrisiko hinzuweisen und Risikofaktoren wie die Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva zu vermeiden und das Rauchen einzustellen.
Quelle:
Lars Neeb, Berlin, Thomas Liman, Berlin, Tobias Freilinger, Passau. „Symposium Migräne und Schlaganfall – mögliche Zusammenhänge und Mechanismen (hybrid)“ im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses, Mannheim, 21. Oktober 2021.