Der Fibromyalgie auf der Spur

Was gibt es Neues? Im Rahmen des diesjährigen Deutschen Schmerzkongresses vom 19. bis 23. Oktober 2021 wurden aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt.

Man weiß nicht viel

Dauerhafte Schmerzen in verschiedenen Körperbereichen sind das Hauptsymptom des Fibromyalgie-Syndroms (FMS), häufig an Rücken, Armen und Beinen. Allein diese beeinträchtigen die Lebensqualität der meist weiblichen Patienten deutlich. Zusätzlich leiden sie unter unspezifischen Begleiterscheinungen wie Müdigkeit, Schlafstörungen sowie psychischen Symptomen bis hin zu depressiven Verstimmungen. Die Ursachen dieser facettenreichen Erkrankung sind noch weitgehend unbekannt, was die Diagnostik und Therapie erschwert. Auf einer Online-Pressekonferenz im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses 2021 wurde die aktuelle Lage der Fibromyalgie-Forschung vorgestellt.

Letztlich ist das FMS eine Ausschlussdiagnose.

Buntes Krankheitsbild

Die unterschiedlichen, teilweise unspezifischen Beschwerden machen die Diagnose schwierig. Gültige Kennzeichen einer Fibromyalgie sind Schmerzen, die in mehreren Körperbereichen auftreten, mindestens drei Monate lang anhalten und von Müdigkeit, Erschöpfung und Schlafstörungen begleitet sind. „Die Verdachtsdiagnose FMS wird erst dann gestellt, wenn andere Ursachen für die beobachteten Beschwerden ausgeschlossen wurden“, sagte Prof. Dr. med. Nurcan Üçeyler, MHBA, Oberärztin an der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Würzburg und Kongresspräsidentin des Deutschen Schmerzkongresses 2021. Charakteristisch seien Schmerzempfindungen an Muskeln oder Gelenken, ohne dass dort Schäden oder Entzündungen vorliegen. Fibromyalgie ist nicht lebensbedrohlich, kann aber die Lebensqualität enorm einschränken. Realistisches Therapieziel ist eine Reduktion der Beschwerden bis zu einem annehmbaren Stadium.

Erste sichtbare Veränderungen entdeckt

Zusammen mit ihrer Arbeitsgruppe konnte Prof. Üçeyler erstmalig eine objektiv belegbare biologische Veränderung bei Patienten mit FMS nachweisen: Die Forscher entdeckten bei einem Teil der Betroffenen eine Störung der kleinen, schmerzleitenden Nervenfasern (small fibers) außerhalb des zentralen Nervensystems. „Wir nennen das Small-fiber-Pathologie“, erläuterte die Würzburger Professorin. Bei einer solchen Störung ist unter anderem die Nervenfaserdichte in der Haut verändert. Dieses Phänomen ist beispielsweise auch als Diabetes-Langzeitfolge bekannt. Die Small-Fiber-Pathologie kann eine reduzierte Sensibilität sowie Missempfindungen und eine übersteigerte Schmerzwahrnehmung verursachen.

Hinweise aus verschiedenen Richtungen

Andere aktuelle Studien beleuchten den immunologischen Aspekt der Fibromyalgie. Bei einem Teil der Patienten wurden bestimmte Antikörper gefunden, die gegen körpereigene Strukturen gerichtet sind. Darüber hinaus könnten Zellen und Botenstoffe des Immunsystems, die in ihrer Menge oder Aktivität verändert sind, eine Rolle spielen. Auch diese Merkmale ließen sich allerdings nur bei einigen Betroffenen nachweisen. All diese Erkenntnisse könnten dabei helfen, mögliche Untergruppen des vielfältigen Krankheitsbildes zu identifizieren und sowohl Diagnostik als auch Therapie zu optimieren. Weitere Studien sind nötig und werden mit Spannung erwartet.

Eine spezifische medikamentöse Therapie gibt es bislang nicht.

S3-Leitlinie gibt Orientierung

Solange die Entstehungsmechanismen noch ungeklärt sind, ist eine ursächliche Therapie kaum möglich. Wichtigste Handlungsempfehlung zur FMS-Behandlung ist die S3-Leitlinie, die unter Federführung der Deutschen Schmerzgesellschaft entstand. Sie berücksichtigt auch den großen Einfluss der Psyche auf die Krankheitsentstehung. Als Konsens gilt, dass neben biologischen Faktoren auch seelische oder psychosoziale Belastungen, Stress sowie berufliche Überlastung FMS befördern können. „In der Praxis ist daher neben der körperlichen Untersuchung auch eine psychische Anamnese wichtig“, betonte Prof. Üçeyler.

Aktivität und ärztliche Begleitung

Bewegung kann die Beschwerden lindern. Deshalb gehört zur FMS-Therapie mindestens ein körperlich aktivierendes Element wie Ausdauer- oder Krafttraining, Gymnastik, Stretching oder Wärmetherapie. Zusätzlich ist ein psychotherapeutisches Verfahren, etwa kognitive Verhaltenstherapie empfehlenswert. Bei ausgeprägten Beschwerden stehen lediglich schmerzstillende und/oder antidepressiv wirksame Medikamente zur Verfügung. Darüber hinaus sind Off-Label-Anwendungen verschiedener Substanzgruppen möglich und gängig. Anlaufstellen für Betroffene können je nach den vorherrschenden Beschwerden Neurologen, Orthopäden, Psychiater oder Schmerzmediziner sein. Die Versorgung über ein spezialisiertes Zentrum ist nicht für jeden realisierbar, laut Expertin ist ein stimmiges Behandlungskonzept eines niedergelassenen Facharztes oder des Hausarztes jedoch ebenso effektiv.

Quelle

Online-Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses (19. bis 23. Oktober 2021) der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG). „Wissen schaffen – Wissen leben“ am Mittwoch, 20. Oktober 2021.