COVID-19; Originalbild: Eisenhans/Adobe Stock

COVID-19: Interleukin-6-Antagonisten zur Therapie?

Patienten, die wegen COVID-19 hospitalisiert werden, sterben einer Metaanalyse zufolge seltener, wenn sie anstelle der üblichen Behandlung oder Placebo den Interleukin-6-Antagonisten Tocilizumab erhalten. Für Sarilumab, ebenfalls ein Interleukin-6-Antagonist, war dies nicht der Fall.

Im Rahmen einer schweren SARS-CoV-2-Infektion kann es zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems mit Freisetzung von Interleukinen kommen. Hierbei spielt die Freisetzung von Interleukin 6 (IL-6) eine besondere Rolle. Die Sekundärschäden durch die überschießende Immunreaktion sind manchmal schwerwiegender als die Folgen der SARS-CoV-2-Infektion selbst. Deshalb wurden bei Patienten, die wegen COVID-19 stationär behandelt werden mussten, neben Glucocorticoiden in randomisierten Studien spezifische Interleukin-6-Antagonisten eingesetzt. Die einzelnen Studien ergaben zum Teil widersprüchliche Ergebnisse bezüglich der Wirksamkeit und unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Um die Therapieeffekte besser einschätzen zu können, war daher von vornherein eine Metaanalyse der Studienergebnisse geplant.

Metaanalyse soll Aufschluss geben

Mithilfe einer systematischen Suche in elektronischen Datenbanken identifizierten die Wissenschaftler geeignete Studien aus dem Zeitraum zwischen Oktober 2020 und Januar 2021. Eingeschlossen wurden Studien, in denen Patienten, die wegen COVID-19 hospitalisiert wurden, randomisiert entweder IL-6-Antagonisten oder weder IL-6-Antagonisten noch andere Immunmodulatoren außer Glucocorticoide erhalten hatten. Von 72 potenziell infrage kommenden Studien erfüllten 27 (38%) die Kriterien für die Studienauswahl. In der prospektiven Metaanalyse wurde das Risiko von Verzerrungen mit dem „Cochrane Risk of Bias Assessment Tool“ bewertet. Die Inkonsistenz der Studienergebnisse wurde mithilfe der I2-Statistik bewertet. In der primären Analyse errechnete man Odds-Ratios (OR) für die 28-Tage-Gesamtsterblichkeit.

28-Tage-Gesamtsterblichkeit unter Tocilizumab reduziert

Der primäre Endpunkt war die Gesamtsterblichkeit 28 Tage nach Randomisierung. Es gab neun sekundäre Endpunkte, einschließlich Progression zu einer invasiven mechanischen Beatmung oder Tod und das Risiko einer Sekundärinfektion nach 28 Tagen. Insgesamt 10.930 Patienten mit einem medianen Alter von 61 Jahren wurden eingeschlossen, darunter 3.560 (33%) Frauen. Nach 28 Tagen gab es

  • 1.407 Todesfälle unter 6.449 Patienten, die einen IL-6-Antagonisten erhielten (22%), und
  • 1.158 Todesfälle unter 4.481 Patienten, die in die übliche Behandlung oder Placebo randomisiert wurden (25%).
  • Der Unterschied war signifikant (OR 0,86; 95%-KI 0,79–0,95; p=0,003).

Die OR der 28-Tage-Gesamtsterblichkeit versus Standard- oder Placebo-Behandlung betrug

  • 0,83 (95%-KI 0,74–0,92; p<0,001) für Tocilizumab und
  • 1,08 (95%-KI 0,86–1,36; p=0,52) für Sarilumab.

Die OR für die Sterblichkeit im Vergleich zur üblichen Behandlung oder Placebo bei zusätzlicher Gabe von Glucocorticoiden war

  • 0,77 (95%-KI 0,68­–0,87) für Tocilizumab und
  • 0,92 (95%-KI 0,61–1,38) für Sarilumab.

Die OR für Progression zur invasiven mechanischen Beatmung oder Tod, verglichen mit der üblichen Behandlung oder Placebo, lag bei

  • 0,77 (95%-KI 0,70–0,85) für alle IL-6-Antagonisten
  • 0,74 (95%-KI 0,66–0,82) für Tocilizumab und
  • 1,00 (95%-KI 0,74–1,34) für Sarilumab.

Sekundärinfektionen traten nach 28 Tagen bei 22% der Patienten auf, die mit IL-6-Antagonisten behandelt wurden, und 18 % der Patienten, die mit der üblichen Behandlung oder Placebo behandelt wurden (OR 0,99; 95%-KI 0,85–1,16).

Kommentar

Die Metaanalyse von 27 randomisierten Studien zeigt, dass Patienten, die wegen COVID-19 stationär behandelt werden müssen, von einer Behandlung mit Interleukin-Antagonisten bzgl. der Sterblichkeit und der Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung profitieren können. Die Ergebnisse sind für Tocilizumab signifikant. Dass sie für Sarilumab nicht signifikant sind, mag der Tatsache geschuldet sein, dass diese Studien zeitlich früher durchgeführt wurden, die Patientenzahlen kleiner waren und weniger Patienten gleichzeitig mit Glucocorticoiden behandelt worden waren.

Die Wirksamkeit der Interleukin-6-Antagonisten war am höchsten in Kombination mit Glucocorticoiden, was dafür spricht, dass die immunmodulatorische Wirkung der beiden Substanzgruppen additiv ist.

Erfreulicherweise kam es unter einer Behandlung mit Interleukin-6-Antagonisten nicht zu einer wesentlichen Zunahme opportunistischer Infektionen. Die Ergebnisse würden dafür sprechen, Tocilizumab bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19 einzusetzen.

Autor

Foto Prof. Diener
Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener. Medizinische Fakultät der Universität Duisburg-Essen, Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (IMIBE).

Quelle

The WHO Rapid Evidence Appraisal for COVID-19 Therapies Working Group. Association between administration of IL-6 Antagonists and mortality among patients hospitalized for COVID-19: a meta-analysis. JAMA. 2021. DOI 10.100/jama.2021.11330