Social Distancing: Sinnvoll oder Augenwischerei?

Sind wir alle Helden, weil wir so brav Abstand halten oder hat die Bundesregierung den Menschen nur ein paar sinnlose Vorgaben gemacht, damit sie sich nicht ganz so hilflos fühlen? Eine Metaanalyse aus dem Lancet klärt auf.

Jeder weiß es besser!

Jeder scheint in den letzten Monaten zu einem Experten für die Übertragbarkeit von Viruspartikeln geworden zu sein:

  • „Abstand halten macht überhaupt keinen Sinn, weil sich der Virus eh über die Aerosolwolke ausbreitet und Stunden dort hängen bleibt.“
  • „Masken sind nur bei Kranken sinnvoll. Sie schützen nicht davor, sich selbst anzustecken.“
  • „Solange die Augen nicht bedeckt sind, hat man ja sowieso keinen wirklichen Schutz.“
  • „Nur mit Masken und Abstand können wir wieder ein annähernd normales Leben führen.“

Meistens nicke ich in diesen Situationen freundlich und unverbindlich. Tatsächlich war nämlich recht wenig über die Wirksamkeit der oben genannten Maßnahmen bei Coronaviren und in einer Pandemiesituation bekannt. Mehr Erkenntnisse gibt es zum Beispiel bei saisonalen Influenzaviren.

Die Autoren einer Metaanalyse haben nun zusammengetragen, welche Evidenz es bei den Erkrankungen SARS, MERS und COVID-19 gibt.

Metaanalyse

Die Autoren schlossen in ihre Analyse 172 Beobachtungsstudien mit 25.697 Patienten ein.

  • Ein Abstand von mehr als einem Meter reduzierte das Risiko für eine Infektion/Übertragung von 12,8% auf 2,6% (Abstand < 1 m vs. Abstand > 1m; Evidenzgrad: moderat)
  • Gesichtsmasken reduzierten das Risiko von 17,4% auf 3,1% (keine Masken vs. Masken; Evidenzgrad: niedrig)
  • Ein Augenschutz reduzierte das Risiko von 16,0% auf 5,5% (kein Augenschutz vs. Augenschutz, z.B. Gesichtsschild oder Brille; Evidenzgrad: niedrig)

Weiter schlussfolgern die Autoren, dass ein Abstand von zwei Metern effektiver sein könnte als ein Abstand von einem Meter. Die Daten deuten ebenfalls darauf hin, dass eine Maske auch den Träger selbst vor einer Infektion schützt. In einigen der Studien wurden auch wiederverwendbare Baumwollmasken mit 12 bis 16 Schichten eingesetzt.

Kommentar

Wenn ich einkaufen gehe, sehe ich, dass ein Großteil der Kunden ihre Masken unter der Nase trägt. Wenn ich dann noch an der Oma vorbeikomme, die ihren Häkelschaal abwechselnd mit der linken und der rechten Hand vors Gesicht hält, zweifle ich an der Sinnhaftigkeit vieler Maßnahmen. Dass Abstand und Masken nützen können, ist sehr plausibel. Aber macht Schutzkleidung in einer Population Sinn, die den Umgang damit nicht gewohnt ist? Doch genau das scheint diese Studie zu belegen. Die Autoren geben zwar selbst zu bedenken, dass das Verzerrungsrisiko sehr hoch ist, da nur Beobachtungsstudien ausgewertet wurden. Aber genau solche Studien spiegeln die unzulängliche Einhaltung der Maßnahmen wider. Welchen Einfluss oder welche Notwendigkeit Abstand und Masken in der aktuellen Pandemie haben und hatten, kann diese Studie nicht bewerten. Aber sie zeigt klar, dass es sich um grundsätzlich wirksame Maßnahmen handelt.