Forscher haben zahlreiche Substanzen mit einer In-vitro-Aktivität gegen SARS-CoV-2 identifiziert. Einige davon befinden sich bereits in klinischer Prüfung. Doch das wird die Krise nicht lösen.
Laut Aussage von Jens Spahn (CDU) hat sich die Bundesregierung größere Mengen Hydroxychloroquin bei der Firma Bayer reserviert. Im Rahmen des Pandemieplans für den Ausbruch eines neuartigen Grippevirus hatte die Bundesregierung auch größere Mengen Neuraminidasehemmer angeschafft – obwohl die Evidenz für deren Wirksamkeit unklar war. Nachdem sich herauskristallisierte, dass lediglich Belege für eine geringe Wirksamkeit vorhanden waren, erntete die Bundesregierung für die Ausgaben große Kritik. Aber wie sieht es mit der Evidenz für die aktuell diskutierten Anti-Corona-Wirkstoffe aus?
Welche Substanzen zeigen In-vitro-Aktivität?
Es sind bereits mehrere Wirkstoffe mit ausreichend hoher Aktivität in vitro bekannt:
- Remdesivir: Nukleosidanalogon, als Wirkstoff gegen Ebolaviren entwickelt
- Chloroquin: Prophylaxe und Therapie der Malaria, auch bei rheumatoider Arthritis
- Nitazoxanid: Nitrothiazolderivat, wirkt gegen einige Bakterienarten, zusätzlich antivirale Wirkung
- Nafamostat: Serin-Proteaseinhibitor, zeigte Wirkung gegen MERS-CoV in vitro
- Favipiravir: Pyrazincarboxamid, in Japan zur Behandlung der Influenza zugelassen
- Penciclovir: Nukleosidanalogon, sein Prodrug Famciclovir ist zur Behandlung des Herpes zoster zugelassen
- Ribavirin: Nukleosidanalogon, zur Behandlung der chronischen Hepatitis C zugelassen
Eine nachgewiesene In-vitro-Aktivität rechtfertigt allerdings noch keine Anwendung beim Menschen – lediglich erste Tierversuche. In der Regel führen Forscher diese Untersuchungen an Mäusen oder Ratten durch. Sind die Wirkstoffe bereits für andere Indikationen zugelassen, ist zumindest bekannt, dass sie sich aufgrund ihrer pharmakodynamischen Eigenschaften für einen Einsatz als Arzneimittel eignen.
Was haben ACE-Hemmer eigentlich mit dem Coronavirus zu tun?
Um in der Lunge in menschliche Zellen zu gelangen, bindet SARS-CoV-2 an das Angiotensinkonversionsenzym 2 (ACE2). Es dient im Renin-Angiotensin-System als Gegenspieler des ACE (Zielstruktur der ACE-Hemmer).
Auf Basis dieses Zusammenhangs kann spekuliert werden, dass ACE-Hemmer durch ihren Eingriff in das Renin-Angiotensin-System den Verlauf der Erkrankung beeinflussen, z.B. durch eine Up-Regulation des ACE2. Setzt der Patient seinen ACE-Hemmer und damit eine wirksame antihypertensive Therapie ab, ist das Risiko für seine Gesundheit dadurch aber in jedem Fall höher als durch eine potenzielle Infektion mit SARS-CoV-2.
Umgekehrt könnte man ableiten, dass lösliches ACE2 das Virus abfängt und eine Infektion abschwächt. Auch Camostat sowie Chloroquin beziehungsweise Hydroxychloroquin greifen in Prozesse ein, die mit der Aufnahme des Virus in die Wirtszelle in Zusammenhang stehen.
Welche Substanzen sind in der klinischen Testung?
Mittlerweile sind über 300 Studien zu COVID-19 mit zahlreichen Behandlungsansätzen auf clinicaltrials.gov registriert. Dazu gehören:
- Chloroquin
- Chloroquin plus Darunavir/Cobicistat
- Hydroxychloroquin
- Remdesivir
- Lopinavir/r plus Umifenovir plus Oseltamivir
- Thalidomid
- rh-ACE2 (rekombinates Angiotensinkonversionsenzym 2)
Für Hydroxychloroquin gibt es bereits eine publizierte französische (n = 42) und eine chinesische Studie zur Anwendung bei COVID-19. Keine davon liefert einen Beleg für die Wirksamkeit. Die chinesische Studie spricht sogar eher dagegen. Trotzdem verordnen laut meinen Quellen Ärzte bereits Hydroxychloroquin für diese Anwendung. Das deckt sich mit einer Meldung des BfArM, in der das Institut fordert, dass Hydroxychloroquin außerhalb der Zulassung nur im Rahmen von klinischen Prüfungen oder als individueller Heilversuch bei stationär behandelten Patienten angewendet wird. Ziel ist es, die Versorgung in den zugelassenen Indikationsgebieten sicherzustellen.
Die erste größere publizierte Studie zu Lopinavir/r ist bereits negativ ausgefallen.
Kommentar
Die Aussicht, die Krise durch ein wirksames Arzneimittel zu beenden, ist verlockend. Handelt es sich um ein in einer anderen Indikation bereits zugelassenes Medikament, könnten tatsächlich recht schnell ausreichende Mengen zur Verfügung stehen. Allerdings muss man hier realistisch sein. Die allermeisten Wirkstoffe erhalten niemals eine Zulassung, auch wenn sie sich in vitro als wirksam erwiesen haben. Zwar hat die Medizin unglaubliche Fortschritte in der antiviralen Behandlung gemacht, doch die Erkenntnisse aus den Indikationen HIV und Hepatitis C lassen sich nicht auf die aktuellen Herausforderungen übertragen. Und selbst wenn die EMA die Zulassung für ein COVID-19-Medikament erteilt, ist es noch lange kein Wundermittel.
Die Lösung der Corona-Krise müssen wir – zumindest für die nächsten Monate – an anderer Stelle finden.
Quelle
Stahlmann R und Lode H. Therapie von COVID-19 – erste klinische Studien mit verschiedenen Wirkstoffen. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 213–9.