Der Verband der Osteopathen Deutschland titelt in seiner Pressemeldung „Osteopathie hilft Säuglingen nebenwirkungsfrei“ – Eine nebenwirkungsfreie Therapie? Das macht neugierig auf die dort beschriebene Studie OSTINF.
Zusammen mit dem Deutschen Institut für Gesundheitsforschung (DIG) unter Leitung von Prof. Resch führte die Akademie für Osteopathie (AFO) eine Beobachtungsstudie zur osteopathischen Behandlung von Säuglingen im ersten Lebensjahr durch.
OSTINF-Studie
Die Studie wurde in 151 Praxen mit 1196 Säuglingen durchgeführt. Es waren im Durchschnitt zwei bis drei Behandlungen nötig. Die häufigsten Behandlungsgründe:
- idiopathische Säuglingsasymmetrie: 48%
- Schreibabys: 18%
- Fütterstörung: 15%
- Plagiozephalie (asymmetrische Veränderungen des Kopfes): 14%
Zentrale Messgröße war die Beurteilung durch die Eltern, z.B. durch Bewertung der Symptomstärke mit Skalen von 0 bis 10. Bei der Plagiozephalie wurde mit einem Craniometer der Kopfumfang des kindlichen Schädels gemessen und daraus der klinisch übliche Cranial Vault Index (CVAI) errechnet.
Ergebnisse
Verglichen wurde die Einschätzung der Eltern zu Beginn und am Ende der Behandlung. Bei der Plagiozephalie wurden die Messungen herangezogen.
- idiopathische Säuglingsasymmetrie: Verbesserung zwischen 78% und 82%
- Schreibabys: Verbesserung um 70%
- Fütterstörung: Verbesserung um 77%
- Plagiozephalie: Verbesserung um 51%
Nebenwirkungen
Bei 3,5 % der Säuglinge wurden nach der osteopathischen Behandlung Auffälligkeiten dokumentiert. Es handelte sich um geringfügige und kurzzeitige Symptome wie Müdigkeit, Unruhe sowie kurze Verschlechterung des ursprünglichen Befundes.
Diskussion
Die Bewertung der Eltern ist ein problematischer Endpunkt, da diese Einschätzung sehr subjektiv ist. Exzessives Schreien und Probleme beim Füttern sind beides Probleme, die sich im Zeitverlauf bessern. Leider ist die durchschnittliche Dauer der Behandlung bisher nicht veröffentlicht. Zur Säuglingsasymmetrie ist nur schwer eine Aussage zu treffen, da hier keine wissenschaftliche Definition existiert.
Die Veränderung der Plagiozephalie wurde vermessen, aber in der Studienbeschreibung selbst wird darauf verwiesen, dass sich die Messung als schwierig gestaltet. Zudem kann sich die Plagiozephalie bereits durch Lagerungsmaßnahmen und Edukation der Eltern bessern. Diese Parameter sind nicht dokumentiert.
Es gab keine Form der Verblindung. Die Auswertung hätte zum Beispiel durch unabhängige Personen ohne Kenntnis der Behandlungsart erfolgen können. Natürlich hätte das auch eine Vergleichsgruppe vorausgesetzt.
Bei den Sicherheitsdaten wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass es keine einzige ernsthafte Nebenwirkung gab. Angesichts der Zahl der Babys, ist es fast schon verwunderlich, dass überhaupt kein schwerwiegendes Ereignis in der Behandlungszeit aufgetreten sein soll. Wurden in der Studie nur behandlungsbedingte Ereignisse dokumentiert? Dann stellt sich jedoch die Frage, wer entschieden hat, was Folge der Behandlung war und was nicht.
Kommentar
Es ist grundsätzlich lobenswert, dass man versucht, die Osteopathie wissenschaftlich zu untermauern. Auch nicht pharmakologische Interventionen sollten evidenzbasiert eingesetzt werden. Selbst in der Chirurgie bestanden hier Defizite, die jedoch seit einigen Jahren nachgeholt werden.
Ich bezweifle allerdings, ob die OSTINF-Studie hier einen wesentlichen Beitrag leistet. Vielleicht ergänzt die noch ausstehende Publikation einen wissenschaftlicheren Unterbau. Angesichts der bisher veröffentlichen Daten halte ich es jedoch für unangemessen zu schreiben, Osteopathie helfe nebenwirkungsfrei. Natürlich muss man zugeben, dass die Aussagekraft vieler pharmakologischer Studien ebenfalls begrenzt ist. Die meisten verbergen dies jedoch deutlich geschickter hinter statistischen Parametern als die OSTINF-Studie.
Exzessives Schreien und Probleme beim Füttern sind große Belastungen für Eltern – unabhängig davon, ob man beides als Gesundheitsstörung einordnen möchte oder nicht. Mit einem Kinderarzt oder einer Hebamme sollte abgeklärt werden, ob Pflegefehler oder eine verantwortliche Grunderkrankung vorliegen.
Gerade bei Erstgeborenen sollten die Eltern aber auch aufgeklärt werden, dass sich diese Probleme fast immer mit dem Zeitverlauf bessern und die Eltern oft keine Schuld tragen. Hinweise auf eine schwierige Geburt (z.B. Kaiserschnitt) als Auslöser können die irrationalen Selbstvorwürfe verstärken, die viele Frauen nach solchen Erfahrungen haben und haben keine wissenschaftliche Basis.