Ocrelizumab: Großes Gebrüll um eine kleine Neuerung?

Im Januar hat Roche die Zulassung für den Anti-CD-20-Antikörper Ocrelizumab (Ocrevus®) bei multipler Sklerose (MS) erhalten – und zwar sowohl für die schubförmige als auch für die primär progediente Form. Obwohl es bisher für primär progrediente MS keine zugelassene Option gab, sehen einige diese Zulassung kritisch.

Rituximab (ebenfalls ein Anti-CD20-Antikörper) wurde schon länger bei schubförmiger und primär progredienter MS off Label eingesetzt. Trotzdem wurde keine Zulassungserweiterung angestrebt, sondern ein neuer Antikörper auf den Markt gebracht.

Rituximab wäre nur eine kleine Beute

  • 2009 konnte man bei einer Studie mit 439 Patienten in der Subgruppe mit einem Alter unter 51 Jahre zeigen, dass Rituximab bei primär progredienter MS die Krankheitsprogression versus Placebo verlangsamen kann.
  • Eine Studie mit 104 Patienten zeigte die Wirksamkeit von Rituximab versus Placebo bei schubförmiger MS für klinische und Bildgebungs-Endpunkte.
  • In einer aktuellen Kohortenstudie, in der 494 Patienten mit schubförmiger MS ausgewertet wurden, zeigte sich unter Rituximab die geringste Abbruchrate wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen oder fehlender Wirksamkeit.

Die Jahrestherapiekosten mit Rituximab (ca. 7500 bis 8000 Euro für MabThera®) lägen deutlich unter denen von Ocrelizumab (ca. 33000 Euro). Der Unterschied wird noch größer, wenn man den Preis mit einem Biosimilar berechnet.

Auf der Jagd nach neuen Arzneimitteln

Ocrelizumab ist nicht der erste Arzneistoff, der in der Indikation MS aus Erfahrungen im Off-Label-Bereich und von in anderen Indikationen zugelassenen Arzneimitteln abgeleitet wurde:

  • Fumaderm®, das eigentlich für Psoriasis vulgaris zugelassen ist, zeigte eine Wirksamkeit bei MS. Der Hersteller untersuchte in Studien die Wirksamkeit von Dimethylfumarat (einem Bestandteil von Fumaderm®) und brachte Tecfidera® auf den Markt.
  • Alemtuzumab wurde als MabCampath® bei einer kleinen Gruppe von Patienten mit chronischer lymphatischer B-Zell-Leukämie eingesetzt. Statt die Indikation zu erweitern, wurde MabCampath® durch den Hersteller vom Markt genommen und die Neuzulassung für Lemtrada® beantragt. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft kritisierte diese Marktrücknahme „aus kommerziellen Gründen“.
  • Teriflunomid (Aubagio®) ist der aktive Metabolit von Leflunomid, das zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis zugelassen ist.

Raubtiere sind keine Mörder

Die Zulassungserweiterung von Rituximab hätte eine Alternative zur Entwicklung eines neuen Arzneistoffes sein können:

  • Der Wirkungsmechanismus wäre identisch.
  • Die Verträglichkeit von Ocrelizumab ist vielleicht besser, da es sich um einen humanisierten Antikörper handelt, jedoch existieren mehr Langzeitdaten zu Rituximab.

Der direkte Vergleich wird nach Zulassung von Ocrelizumab wahrscheinlich nie mehr in Studien untersucht werden.

Es ist auf jeden Fall gut, dass nun eine zugelassene Option existiert, insbesondere für die primär progrediente MS. Das schafft Sicherheit für die Therapie der Patienten und entbindet die Ärzte von der Verantwortung, die mit einer Off-Label-Verschreibung verbunden ist.

Natürlich hätte man das mit Rituximab günstiger haben können. Hier darf man den Pharma-Firmen aber keinen Vorwurf machen: Einer Aktiengesellschaft vorzuwerfen, dass sie geschickt Geld verdient, wäre, als ob man einen Löwen verurteilt, eine Gazelle zu fressen.

Vielmehr muss ein Weg gefunden werden, auf dem die gesamte Gesellschaft und nicht nur Pharma-Unternehmen von Erkenntnissen aus der Off-Label-Verschreibung profitieren, ohne die Sicherheit der Patienten zu gefährden. Schließlich wurden diese Erfahrungen oft auf Kosten der Ärzte gewonnen, die für diese Verschreibungen Verantwortung tragen mussten.

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