Sie sind häufiger betroffen, erhalten dennoch die Diagnose später. Im Vergleich der Geschlechter sind Rheumapatientinnen benachteiligt. Warum ist das so?
Kollagenosen und rheumatoide Arthritis sind weiblich
Aufschlussreiche Ergebnisse liefert eine aktuelle Überblicksstudie zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Diagnostik und Therapie von Rheumaerkrankungen. Einige Aspekte daraus wurden im Rahmen der Vorabpressekonferenz des Deutschen Rheumatologiekongresses diskutiert, der vom 30. August bis 2. September 2023 in Leipzig stattfindet.
Privatdozentin Dr. med. Uta Kiltz vom Rheumazentrum Ruhrgebiet beschrieb: Bei der Mehrzahl der rheumatischen Erkrankungen ist der Anteil an betroffenen Frauen größer. Das betreffe vor allem Kollagenosen sowie die rheumatoide Arthritis (RA). Nur wenige entzündlich-rheumatische Erkrankungen seien bei Männern häufiger, beispielsweise Morbus Behçet.
Umso verwunderlicher erscheint es, dass Frauen im Durchschnitt deutlich später eine Diagnose erhalten.
Krankheitsverlauf unterschiedlich
Eine mögliche Ursache für das Ungleichgewicht in der Diagnostik sei der Krankheitsverlauf, der bei Männern in der Regel schwerer ist. Bei ihnen seien Organschäden früher sichtbar, ebenso wie bestimmte Marker und Antikörper im Blut. Hinzu komme, dass Frauen ein vielfältigeres Bild an Symptomen zeigen, was eine eindeutige Diagnose zusätzlich erschweren kann. Komorbiditäten seien ebenfalls unterschiedlich. Frauen mit RA weisen häufiger Osteoporose und Depression auf, Männer eher kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes.
Die Symptome sind bei Frauen schwieriger einzuordnen, obwohl die Krankheitslast höher ist.
Kiltz erläuterte: „Die Unterschiede lassen sich unter anderem auf hormonelle, immunologische und (epi)genetische Unterschiede zurückführen.“ Eventuell haben die Menopause sowie die Fettverteilung im Körper ebenfalls einen Einfluss.
Interessanterweise scheint auch das Geschlecht des konsultierten Hausarztes eine Rolle zu spielen: Laut einer Analyse aus Kanada veranlassten männliche Hausärzte später eine rheumatologische Überweisung als ihre Kolleginnen, und zwar unabhängig davon, ob sie eine Frau oder einen Mann vor sich hätten.
Therapieziel seltener erreicht
In der Behandlung zeigt sich eine weitere Geschlechterdifferenz. „Immunsuppressive Therapien, etwa mit TNF-Inhibitoren, wirken bei Frauen weniger lang“, beschrieb Kiltz. Im Vergleich zu Männern erreichten sie deutlich seltener das Therapieziel einer niedrigen Krankheitsaktivität.
Möglicherweise schätzten Frauen in der Selbstauskunft die Krankheitsaktivität höher ein, lautete eine Vermutung der Expertin. Darüber hinaus seien die sozialen und psychologischen Folgen einer rheumatischen Erkrankung aufgrund von gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenbildern anders als bei Männern. Ob sich die Wirksamkeit von Medikamenten zwischen den Geschlechtern unterscheidet, ist umstritten.
„Es besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf, um die Kontextfaktoren so weit zu verstehen, dass eine personalisierte Medizin möglich ist“, erklärte Kiltz. Ziel sei es, die geschlechtsspezifischen Krankheitsausprägungen besser zu verstehen und diese Erkenntnisse in die Diagnostik und Therapie einfließen zu lassen. Darüber hinaus sei in der Praxis eine individualisierte Herangehensweise notwendig, um die Bedürfnisse der Patientinnen zu berücksichtigen.
Quelle
Priv.-Doz. Dr. Uta Kiltz. One size fits all? Geschlechterspezifische Unterschiede in der Rheumatologie. Katinka Albrecht, Anja Strangfeld: Geschlechtsspezifische Unterschiede in Diagnostik und Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen. Online-Vorabpressekonferenz anlässlich des Deutschen Rheumatologiekongresses 2023 am 23. August 2023.