Ist Rituximab Ocrelizumab bei schubförmiger MS unterlegen?

Für die Therapie der multiplen Sklerose (MS) stehen u. a. CD20-Inhibitoren zur Verfügung. Anhand einer retrospektiven Nichtunterlegenheitsstudie sollte nun geprüft werden, ob die beiden monoklonalen Antikörper Rituximab und Ocrelizumab gleichwertig sind. Das Ergebnis hat Experten überrascht.

Bisher fehlten direkte Vergleiche von Rituximab und Ocrelizumab

Für Patienten mit schubförmiger MS kommt in bestimmten Situationen eine B-Zell-depletierende Anti-CD20-Antikörpertherapie infrage. In der S2k-Leitlinie „Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen“ werden dafür drei Präparate aufgeführt: Ocrelizumab, Ofatumumab und Rituximab (RTX). Letzteres ist bereits seit 1998 auf dem Markt, inzwischen generisch verfügbar und wird bei MS off Label eingesetzt. Ocrelizumab ist für die MS-Behandlung in Deutschland seit 2018 zugelassen, Ofatumumab seit 2021.

RTX wird bei MS häufig eingesetzt, auch wenn mit dem Off-Label-Use Unsicherheiten in Bezug auf Haftungsaspekte oder Erstattungsfähigkeit verbunden sind: Es ist kostengünstiger als die anderen Substanzen, und Neurologen können auf Langzeitsicherheitsdaten zurückgreifen. Bisher fehlten für die MS-Therapie direkte Vergleiche zwischen RTX und den anderen Anti-CD20-Antikörpern. Die in den Phase-II- und -III-Studien beobachteten Therapieeffekte von RTX und Ocrelizumab deuteten nicht auf substanzielle Unterschiede hin. In einer retrospektiven Kohortenstudie mit Registerdaten wurden nun allerdings Unterschiede zwischen den Antikörpern gezeigt.

Nichtunterlegenheit von RTX konnte nicht bestätigt werden

Um die Nichtunterlegenheit von RTX gegenüber Ocrelizumab bei schubförmig-remittierender MS in Bezug auf das Verhindern von Schüben und Behinderungen zu evaluieren, werteten die Autoren Daten des internationalen MSBase- und dänischen MS-Registers (DMSR) aus. Von 6027 Patienten entsprachen 1613 den Einschlusskriterien. Sie waren 42±11 Jahre alt, zwei Drittel waren weiblich und die Erkrankung bestand im Median seit etwa elf Jahren. Insgesamt konnten 710 Patienten unter Ocrelizumab mit 186 Patienten unter RTX in die Analyse einbezogen werden.

Unter RTX war die jährliche Rückfallrate (ARR) mit 0,20 versus 0,09 höher als unter Ocrelizumab. Das Verhältnis der ARR (ARR-Ratio) lag bei 1,8 (95%-Konfidenzintervall [KI] 1,4–2,4; p<0,001). Für die Nichtunterlegenheit war im Vorfeld festgelegt worden, dass die Obergrenze dieses Konfidenzintervalls 1,63 nicht überschreiten durfte. Somit konnte die Gleichwertigkeit von RTX und Ocrelizumab nicht bestätigt werden.

Das kumulative Rückfallrisiko war unter RTX ebenfalls höher (Hazard-Ratio [HR] 2,1). In Bezug auf Akkumulierung oder Verbesserung der Behinderungen ergaben sich keine größeren Unterschiede (HR 1,51 bzw. HR 0,80).

RTX wurde häufiger abgesetzt als Ocrelizumab (HR 3,11). Zwei Drittel der Patienten, die Rituximab absetzten, erhielten anschließend Ocrelizumab. Die Entscheidung für den Wechsel könnte daher mit der Zulassung von Ocrelizumab zusammenhängen. Nur bei 9 Patienten wurde RTX und bei 16 Patienten Ocrelizumab aufgrund von Verträglichkeitsproblemen abgesetzt.

Limitierungen der Studie ergeben sich u. a. durch die retrospektive Datenerhebung. RTX wurde zudem sowohl als Generikum als auch als Originalpräparat eingesetzt; Effektivitätsunterschiede können nicht ganz ausgeschlossen werden. Des Weiteren könnten sich durch den Off-Label-Use von RTX Unsicherheiten ergeben, etwa aufgrund von Unterschieden in dem eingesetzten Behandlungsregime.

Überraschung bei Experten

In einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) kommentierte der Autor der S2k-Leitlinie, Prof. Dr. Bernhard Hemmer, München, die Ergebnisse:

Die Ergebnisse sind für mich überraschend, da ich nach meinen persönlichen Erfahrungen im klinischen Alltag diese beiden Substanzen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit als vergleichbar einstufen würde. Trotzdem gibt uns die Studie bei allen Limitationen ernstzunehmende Signale, weiter zu überprüfen, ob die aktuellen Leitlinien künftig überarbeitet werden sollten. Hier ist allerdings dringend mehr Evidenz erforderlich.

Prof. Dr. Manuel Friese, Hamburg, äußerte sich ebenfalls skeptisch:

Aufgrund der zahlreichen methodischen Schwächen konnte diese Studie eine Unter- oder Überlegenheit nicht sicher nachweisen, womit Rituximab wie bisher eine therapeutische Option bleibt.

Quellen

  • Roos I, et al. Rituximab vs ocrelizumab in relapsing-remitting multiple sclerosis. JAMA Neurol 2023 Jun 12:e231625. doi: 10.1001/jamaneurol.2023.1625. Online ahead of print.
  • Pressemitteilung der DGN „Erster retrospektiver Head-to-Head-Vergleich von Rituximab und Ocrelizumab bei schubförmiger Multipler Sklerose“ vom 11. Juli 2023.