Die Entwicklung medikamentöser Therapien gegen Morbus Alzheimer ist ernüchternd. Nun zeigte sich ein monoklonaler Antikörper in einer Studie wirksam. Die Ergebnisse stimmen „vorsichtig optimistisch“.
Lecanemab in frühen Phasen der Alzheimer-Krankheit wirksam
Morbus Alzheimer ist die häufigste Demenzform. Viele Therapieansätze schlugen in der Vergangenheit fehl. Man vermutet, dass die Ansammlung von löslichem und unlöslichem aggregiertem Beta-Amyloid die Erkrankung auslösen oder verstärken kann. Ein monoklonaler Antikörper, der mit hoher Affinität an lösliche Beta-Amyloid-Protofibrillen bindet, ist Lecanemab.
In einer Phase-IIb-Dosisfindungsstudie mit früher Alzheimer-Krankheit (leichte kognitive Beeinträchtigung oder leichte Demenz aufgrund der Erkrankung) zeigte sich nach 12 Monaten zunächst kein signifikanter Unterschied zwischen Lecanemab und Placebo in Bezug auf Änderungen der Demenz-Werte.
Weitere Analysen nach 18 Monaten ergaben nun jedoch unter Lecanemab eine dosis- und zeitabhängige Abnahme von Amyloid im Positronen-Emissions-Tomogramm (PET).
Krankheitsverlauf wird um 27% verzögert
Insgesamt wurden 1795 Teilnehmer in die Studie aufgenommen, von denen 898 Lecanemab (10 mg/kg Körpergewicht alle 2 Wochen) und 897 Placebo erhielten. Der primäre Endpunkt war die Veränderung im Score der „Clinical Dementia Rating – Sum of Boxes“ (CDR-SB) gegenüber dem Ausgangswert nach 18 Monaten. Unter Lecanemab verschlechterten sich die kognitiven Fähigkeiten und Funktionen weniger als unter Placebo – sowohl in CDR-SB als auch bei weiteren Demenz-Skalen.
Die Wirksamkeit wurde allerdings nur bei Patienten mit früher Alzheimer-Krankheit und beginnenden leichten Demenzsymptomen gezeigt.
Eine wichtige Einschränkung der Therapie ist, dass die Krankheit nicht kausal behandelt, sondern nur die Krankheitsprogression verlangsamt wird. Sollte es zu einer Zulassung kommen, müsste genau eingegrenzt werden, welche Patienten für eine Behandlung infrage kommen.
Mögliche Nebenwirkung: Hirnschwellungen
Unter Lecanemab hatte ein Viertel der Teilnehmer infusionsbedingte Reaktionen und bei etwa jedem siebten Teilnehmer kam es zu Amyloid-bedingten Bildgebungsanomalien im MRT mit Ödemen oder Mikroblutungen. Die meisten dieser zerebralen Mikroblutungen waren asymptomatisch. Die Todesfälle von zwei Studienteilnehmern im Zusammenhang mit der Einnahme von Blutverdünnern zeigen jedoch, dass es noch offene Fragen zur Sicherheit des Wirkstoffes gibt. Im Fall einer Zulassung wäre eine engmaschige ärztliche Kontrolle bei der Behandlung nötig.
Langzeitstudien müssen folgen
Die Behandlungsdauer von 18 Monaten in der Studie war kurz. Nun müssen Studien mit längerer Behandlungszeit die Wirksamkeit und Sicherheit von Lecanemab im Langzeitverlauf bestätigen.
Der Neurologe Professor Dr. Hans-Christoph Diener, Essen, kommentiert die Ergebnisse in einem Beitrag der „Arzneimitteltherapie“:
Die Studie mit Lecanemab hat erwartungsgemäß großes Aufsehen erregt. Es ist die erste große positive Studie, in der ein Antikörper, der sich gegen Amyloid-Beta im Gehirn richtet, zu einer Reduktion der Amyloid-Konzentration im PET führt und zu einem geringeren Fortschreiten der kognitiven Einschränkungen bei beginnendem Morbus Alzheimer.
In einer Pressemitteilung der Alzheimer Forschung Initiative bewertet Dr. Linda Thienpont, Leiterin Wissenschaft bei der Alzheimer Forschung Initiative, die Ergebnisse „vorsichtig optimistisch“:
Lecanemab greift in die Mechanismen der Alzheimer-Krankheit ein und reduziert nicht nur die schädlichen Amyloid-Ablagerungen, sondern verzögert auch den Krankheitsverlauf. Das ist das ausschlaggebende Kriterium für die Patientinnen und Patienten – und das hat bisher noch kein Wirkstoff geschafft. Allerdings ist die Verbesserung der Kognition von 27% nur sehr moderat. Es ist deshalb fraglich, wie stark dieser Effekt für Betroffene spürbar ist und tatsächlich im Alltag einen Unterschied macht.
Menschen im fortgeschrittenen Krankheitsstadium würden Thienpont nicht von der Behandlung profitieren.
Quelle
van Dyck CH, et al. Lecanemab in early Alzheimer’s disease. N Engl J Med 2022, November 29; online vor Print. DOI: 10.1056/NEJMoa2212948