Zwei Jahre Pandemie haben bei den Deutschen gewichtige Spuren hinterlassen. Das zeigt eine aktuelle Umfrage zu Essverhalten und Körpergewicht.
Ungünstige Verhaltensänderungen halten an
Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat die Corona-Pandemie für die Deutschen? Welcher Handlungsbedarf resultiert daraus? Diese Fragen stellt sich das Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin (EKFZ) der Technischen Universität München. Die Forscher initiierten mittlerweile die vierte repräsentative Umfrage mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa zu den Auswirkungen der Pandemie und Blick auf die Ernährungsmedizin. Die Ergebnisse zeigen nach etwa zwei Corona-Jahren: Zahlreiche Deutsche haben während der Pandemie ihr Ess- und Bewegungsverhalten geändert, viele haben an Gewicht zugenommen. Außerdem gibt es das andere Extrem: Viele junge schlanke Menschen haben Kilos verloren. Die Forscher betonten in einer Pressekonferenz, dass solche Zwei-Jahres-Tendenzen für den Stoffwechsel und die Organe durchaus große Relevanz besitzen.
Homeoffice, Bewegungsmangel, Lieferdienste
Zwei Jahre nach Pandemiebeginn ist der Alltag vieler Deutscher immer noch anders als vor Corona:
- 23 % der Beschäftigten arbeiten zumindest teilweise im Homeoffice
- 40% der Befragten bewegen sich weniger
- 33% der Befragten kochen häufiger selbst
- 25 % der Befragten lassen sich öfter Mahlzeiten liefern
- 23 % der Befragten greifen mehr auf „to go“-Angebote zurück
- 22 % der Befragten essen seltener gemeinsam mit der Familie
Übergewichtige haben weiter zugenommen
Für rund zwei Drittel der 1000 Umfrageteilnehmer hat sich zwar das Ernährungsverhalten seit Beginn der Pandemie nicht grundlegend verändert, allerdings nahmen 35 % im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit an Gewicht zu, durchschnittlich 6,5 kg.
Leider haben es viele Menschen in der Corona-Pandemie nicht geschafft, ihr Gewicht im Griff zu behalten.
Demnach isst ein knappes Drittel der Befragten nun mehr und häufiger. Die Favoriten sind Süßigkeiten, Kuchen und süße Backwaren, Knabberartikel und Fastfood. Auffällig ist, dass insbesondere Menschen mit Übergewicht häufiger zu diesen Lebensmitteln greifen und damit ihr Gewichtsproblem verstärken.
Seelische Belastung schlägt aufs Gewicht
Die Umfrage verdeutlicht außerdem, welche Bedeutung das Gefühl psychischer Belastung bezüglich ungünstigen Essverhaltens einnimmt. Personen, die sich durch die Veränderungen im Zusammenhang mit der Corona-Situation seelisch belastet gefühlt haben – im zweiten Pandemiejahr immerhin noch 62 Prozent – bejahten häufiger ein verändertes Ernährungsverhalten.
Seelische Belastung erhöht den Konsum von ungesunden Lebensmitteln.
Im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit ergab sich ein deutlicher Unterschied in der Nahrungsauswahl in Situationen seelischer Belastung:
- 27 % essen mehr Zwischenmahlzeiten und Snacks
- 14 % essen größere Portionen als vorher
- 27 % essen öfter aus Langeweile
- 24 % verspüren mehr Lust auf Essen
- 20 % belohnen sich häufiger mit Essen
Sehr Schlanke nahmen weiter ab
Die Zahlen decken zudem eine entgegengesetzte Entwicklung auf: Etwa 15 % der Befragten haben Corona-bedingt Gewicht verloren, im Mittel 7,9 kg. Das liegt einerseits an einer gesünderen Lebensweise: Es gab mehr Zeit und Notwendigkeit, selbst zu kochen und sich mit dem Thema Ernährung zu beschäftigen. Doch Abnehmen ist nicht immer positiv zu bewerten, auch hier zeigte sich ein Trend zu ungesunden Verhaltensweisen. Unter den Gewichtsverlierern findet sich ein hoher Anteil junger Erwachsener mit einem Body-Mass-Index (BMI) unter 20.
Es gibt Studien, die deutlich zeigen, dass während der Pandemie Essstörungen zugenommen haben.
Auch hier spielt die Psyche vermutlich eine große Rolle. Die Wissenschaftler sehen Erklärungen im Verlust von gewohnten und haltgebenden Strukturen, sozialer Isolation, einer generellen Unsicherheit sowie einer Zunahme von Depressivität und psychischer Belastung. Zudem führt ein möglicherweise vermehrter Medienkonsum zu häufigeren Konfrontationen mit Schlankheitsidealen und Gewichtsstigmata. Zusätzlich erschwerte die Pandemie den Zugang zu ambulanten Behandlungsangeboten.
Gegensteuern ist nötig
Die Forscher sehen durch die Corona-Pandemie dauerhaft ungünstige Veränderungen von Lebensstil und -qualität. Sie erwarten aufgrund dieser Ergebnisse einen Anstieg gewichtsabhängiger und lebensstilbedingter Krankheiten, etwa einen 15 %igen Anstieg bei Diabetes-Typ-2-Neuerkrankungen. Vor allem Menschen mit niedrigem Sozialstatus schaffen es offenbar nicht, mit eigenen Kräften ihre Gesundheit zu schützen.
Viele Menschen mit einem Gewichtsproblem benötigen Hilfe von außen. Die Gesundheitspolitik könnte Kampagnen auf den Weg bringen, um Menschen zu aktivieren.
Die Experten empfehlen, über diese Zusammenhänge aufzuklären und konkrete Hilfen anzubieten. Wünschenswert aus ihrer Sicht sind gebündelte Aktionen und Informationskampagnen, der Ausbau von digitalen Angeboten sowie leicht zugängliche individuelle Lösungen in der Ernährungsberatung. Um passende Angebote voranzutreiben, die der ungünstigen Entwicklung entgegenwirken und die Rückkehr zu einer gesunden Lebensweise erleichtern können, seien Politik und Gesellschaft gefordert.
Quelle
Online-Expertengespräch des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin. „Veränderung von Lebensstil und Ernährung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie“. 28. Juli 2022.