ASS für die kardiovaskuläre Primärprävention – für wen?

Neue Empfehlungen der US Preventive Services Task Force (USPSTF) sprechen gegen eine ASS-Gabe in der Primärprävention atherosklerotisch bedingter kardiovaskulärer Ereignisse bei über 60-Jährigen. Die Autorinnen, die dieses Update vorstellen, unterscheiden auch zwischen den Geschlechtern.

Nutzen von ASS in der Primärprävention?

Der Nutzen von Acetylsalicylsäure (ASS) in der Sekundärprävention von atherosklerotisch bedingten kardiovaskulären Erkrankungen (ASCVD) ist klar belegt, sowohl bei Frauen als auch bei Männern. In der Primärprävention ist die Evidenzlage jedoch kontrovers.

2022 hat sich die US Preventive Services Task Force (USPSTF) gegen die Gabe von ASS für die Primärprävention von ASCVD bei Erwachsenen über 60 Jahren ausgesprochen. Für Patienten, die zwischen 40 und 59 Jahre alt sind und die mindestens ein 10-Jahresrisiko für eine ASCVD von 10% haben, könnte die ASS-Prophylaxe einen geringen Nutzen haben. Hier soll individuell entschieden werden.

Woher kommen die Empfehlungen der USPSTF?

Die neuen Empfehlungen der USPSTF beruhen auf einer gepoolten Analyse aus 13 randomisierten klinischen Studien für die Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse bei Personen ohne ASCVD. In elf Studien mit insgesamt 134.470 Patienten wurde die Wirksamkeit von ASS (≤ 100 mg/d) untersucht. Die prophylaktische ASS-Gabe war weder signifikant mit einer Reduktion der ASCVD-Mortalität noch mit einer Reduktion der Gesamtmortalität assoziiert. Niedrigdosierte ASS ging jedoch mit einer signifikant reduzierten Reduktion schwerer ASCVD-Ereignisse (Herzinfarkte, Schlaganfall, ASCVD-Mortalität; Odds-Ratio 0,9; 95%-KI 0,85–0,95), nichttödlicher Herzinfarkte (OR 0,88; 95%-KI 0,8–0,96) und nichttödlicher Schlaganfälle (OR 0,88, 95%-KI 0,80–0,97) einher.

Ältere Frauen profitieren mehr

Die Wirksamkeit unterschied sich nicht zwischen Männern und Frauen. Betrachtet man allerdings die Ergebnisse der Women’s Health Study mit knapp 40.000 Frauen, aus der fast die Hälfte der Daten stammen, die für Frauen erhoben wurden, zeigt sich ein anderes Bild. Niedrigdosierte ASS reduzierte das Schlaganfallrisiko über alle Altersgruppen signifikant. Bei über 65-jährigen Frauen wurden auch schwerwiegende ASCVD-Ereignisse (Herzinfarkt, Schlaganfall, ASCVD-Mortalität) reduziert. Bei jüngeren Frauen war das nicht der Fall.

Erhöhtes Blutungsrisiko unter ASS

Direkt nach der ASS-Einnahme zeigte sich ein erhöhtes Blutungsrisiko. Die gepoolte Analyse aus zehn Studien mit ca. 119.000 Personen ergab ein signifikant erhöhtes Risiko für schwere gastrointestinale Blutungen (OR 1,58; 95%-KI 1,38–1,80), intrakranielle Blutungen (OR 1,31; 95%-KI 1,11 –1,54) und schwere Blutungen, die zu einer Transfusion, einem Krankenhausaufenthalt oder sogar zum Tod führten (OR 1,44; 95%-KI 1,32–1,57). Das absolute Blutungsrisiko war bei Männern höher als bei Frauen und nahm auch mit dem Alter, besonders ab 60 Jahren, zu.

Das sagen die US-Fachgesellschaften …

Das American College of Cardiology und die American Heart Association empfehlen in ihren Leitlinien zur Primärprävention keine routinemäßige Gabe von ASS bei Erwachsenen, die älter als 70 Jahre sind. Auch raten sie von der ASS-Gabe bei Personen jeden Alters ab, die ein erhöhtes Blutungsrisiko haben. Niedrigdosierte ASS soll für Patienten zwischen 40 und 70 Jahren mit einem erhöhten ASCVD-Risiko (10-Jahresrisiko > 10%) in Erwägung gezogen werden, sofern kein erhöhtes Blutungsrisiko vorliegt.

… und das die europäischen

Die Leitlinien der European Society of Cardiology von 2021 zur Primärprävention der ASCVD raten von der ASS-Gabe bei über 70-jährigen Patienten oder solchen mit einem niedrigen oder mittleren ASCVD-Risiko aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos ab. Bei unter 70-Jährigen mit einem (sehr) hohen ASCVD-Risiko sollte von Fall zu Fall entschieden werden.

Keine routinemäßige Primärprävention für Ältere

Die US-amerikanischen und europäischen Fachgesellschaften sind sich einig: Die routinemäßige ASS-Gabe zur Primärprävention bei über 70-Jährigen wird aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos nicht empfohlen. Die USPSTF geht sogar einen Schritt weiter und spricht sich gegen die Primärprävention mit ASS bei über 60-Jährigen aus. Zwischen den Geschlechtern wird jedoch nicht unterschieden.

Was ist mit den Frauen?

Da das Blutungsrisiko bei Frauen niedriger zu sein scheint, als bei Männern, schlagen die Autorinnen, die das USPSTF-Update vorgestellt haben, für jüngere Frauen ein differenziertes Vorgehen vor: Eine ASS-Prophylaxe für Frauen ohne ein erhöhtes Blutungsrisiko sollte in Erwägung gezogen werden:

  • zwischen 40 und 59 Jahren mit einem 10-Jahresrisiko für ASCVD > 10%,
  • zwischen 60 und 69 Jahren und einem ASCVD- Risiko von mindesten 20 % oder
  • bei Diabetes mellitus und einem ASCVD-Risiko > 10%.

Quelle

Shufelt CS, et al. Aspirin for the primary prevention of atherosclerotic cardiovascular disease in women. 2022 Jul 25. doi: 10.1001/jama.2022.11951. Online ahead of print.