Das Epstein-Barr-Virus kann noch mehr als die „Kusskrankheit“. Neben Tumorerkrankungen steht aktuell die multiple Sklerose im Fokus der möglichen Folgen. Der Täter ist noch nicht in allen Fällen überführt, doch die Indizien mehren sich.
Das Virus und die Nervenerkrankung
Eine in „Science“ veröffentlichte Studie sorgt aktuell für Aufsehen: Steckt das Epstein-Barr-Virus (EBV) hinter der Autoimmunkrankheit multiple Sklerose (MS)? Schon seit Längerem zählen Masern- oder Herpes-Viren – zu den letzteren gehört auch Epstein-Barr – zum Kreis der verdächtigen Auslöser. Die US-Studie ergab zumindest deutliche Zusammenhänge zwischen einer EBV-Infektion und einem erhöhten Risiko einer nachfolgenden multiplen Sklerose.
Nahezu jeder infiziert
Mehr als 90% der Menschen infizieren sich im Lauf des Lebens mit dem Eppstein-Barr-Virus, Schätzungen für Europa nennen Zahlen bis zu 98%. Meist erfolgt die Ansteckung im Kindesalter und bleibt symptomlos, bei Jugendlichen äußerst sich die „Kusskrankheit“ oft als harmloses Pfeiffersches Drüsenfieber. In einigen Fällen kann es hierbei schon zu lebensbedrohlichen Komplikationen kommen, etwa Atemnot oder Milzriss. Nach der Infektion schlummert das Virus unbemerkt im Körper, bis eine Immunsuppression es unter Umständen aktiviert und verschiedenen Erkrankungen den Weg ebnet.
Unterschätzter Risikofaktor
Nicht nur in Verbindung mit Pfeifferschem Drüsenfieber steht das Epstein-Barr-Virus in Verdacht, für das chronische Erschöpfungssyndrom verantwortlich zu sein. Ferner fungiert offenbar ein bestimmter Proteinbestandteil des Virus als Treiber für die Entstehung von Krebs. So steht die Infektion mit verschiedenen Tumoren und Lymphomen, wie dem Burkitt- und dem Hodgkin-Lymphom, in Verbindung. Das Virus wird als Ursache für weltweit etwa 200.000 Krebserkrankungen pro Jahr angesehen.
Das Virus mit dem Doppelnamen könnte noch für weitere Erkrankungen verantwortlich sein. Forschungsprojekte wie die IMMUC-Studie (Studie zur infektiösen Mononukleose in München), sollen sowohl neue Ansatzpunkte für die Diagnose, Verlaufskontrolle, Therapie und Prävention verschiedener Epstein-Barr-Erkrankungen liefern als auch Informationen über weitere Kausalitäten zu anderen mit dem Virus assoziierten Erkrankungen aufdecken. Zudem arbeiten die Wissenschaftler an der Weiterentwicklung der EBV-spezifischen Zelltherapie für die MS-Therapie.
Wann und wie kommt die Impfung?
Ob das Virus „nur“ Voraussetzung für die Entstehung der multiplen Sklerose oder wirklich deren Ursache ist, ändert nichts daran, dass Rufe nach „Impfungen gegen MS und Krebs“ aktuell wieder lauter werden. Verschiedene Forschungsprojekte laufen zur Zeit hierzu, beispielsweise wollen Wissenschaftler des Deutschen Zentrum für Infektionsforschung in München einen eigenen Impfstoff auf VLP(virus-like particle)-Basis im nächsten Jahr in die klinische Prüfung geben.
Für einen mRNA-Impfstoff aus dem Hause Moderna läuft bereits eine randomisierte, placebokontrollierte Phase-1-Studie zur Dosisfindung für gesunde Erwachsene. EBV-Impfungen sind also vermutlich nur eine Frage der Zeit. Spannend wird es, wenn es um die Umsetzung und Akzeptanz zukünftiger EBV-Impfstrategien geht. Diskussionen rund um Impfempfehlungen und -pflichten bei Masern, HPV und COVID-19 sind ja nur allzu präsent.
Quellen
Bjornevik K, Cortese M, Healy BC et al. Longitudinal analysis reveals high prevalence of Epstein-Barr virus associated with multiple sclerosis. Science. 13 Jan 2022. doi: 10.1126/science.abj8222.
A Study of an Epstein-Barr Virus (EBV) Candidate Vaccine, mRNA-1189, in 18- to 30-Year-Old Healthy Adults. ClinicalTrials.gov Identifier: NCT05164094. doi: clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT05164094.
Bundesministerium für Bildung und Forschung. Epstein-Barr-Virus: Von harmlos bis folgenschwer. Newsletter 86. doi: www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/epstein-barr-virus-von-harmlos-bis-folgenschwer-7238.php.
Bundesministerium für Bildung und Forschung. Epstein-Barr-Virus: DZIF und Helmholtz Munich entwickeln einen Impfstoff. doi: www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/epstein-barr-virus-dzif-und-helmholtz-munich-entwickeln-einen-impfstoff-14519.php.