Im Fokus des Heidelberger Web-Kongresses, der am 20. und 21. November 2021 stattfand, standen Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts. Unter dem Motto „Wenn Magen und Darm rebellieren“ präsentierte Prof. Dr. med. Stephan Bischoff, Institut für Ernährungsmedizin der Universität Hohenheim, Aktuelles aus dem „Reich der Mitte“ zum Thema Nahrungsmittelunverträglichkeiten (NMU).
Allergie oder Intoleranz?
Experten differenzieren bei NMU zwischen Allergien und Intoleranzen gegenüber Nahrungsmitteln. Die klinische Präsentation erstreckt sich dabei auf die Haut, den Gastrointestinal- und den Respirationstrakt, wobei die Gründe für die Präferenz bestimmter Organe unbekannt sind. Systemische Reaktionen sind selten, aber möglich und potenziell lebensgefährlich, z.B. bei einer Erdnuss- oder Lipidtransferproteinallergie.
Allergie | Intoleranz | |
Häufigkeit | 2-5 % | 5-15 % |
Immunologisch vermittelt | ja | nein |
Auslöser (Beispiele) | Erdnussprotein, Weizen | Lactose, Fructose, Histamin, Weizen |
Potenziell lebensbedrohlich | ja | nein |
NMU – ein Luxusproblem
Lactose
Am häufigsten sind Zuckerintoleranzen und unter ihnen liegt die Lactose auf Platz 1. Da die ständige Verfügbarkeit von Milch(produkten) evolutionär nicht vorgesehen ist, tritt die Lactoseintoleranz mit zunehmendem Lebensalter auf. Von einer Abstinenz rät Bischoff allerdings klar ab, da Milch(produkte) die wichtigste Calciumquelle für den Menschen darstellen. Mit Blick auf eine potenzielle Osteoporose-Entwicklung sei der Verzicht also keine gute Option.
Weizen
Der Lactoseintoleranz Konkurrenz macht in letzter Zeit auch die Weizenintoleranz, auch „Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität“ genannt, die von der Weizenallergie (NCWS, Non Celiac Weed Sensitivity) und Zöliakie abgegrenzt werden muss. Viele Patienten sind der Überzeugung, dass es dieses Phänomen gibt. Darauf hat der Markt mit einer Vielzahl glutenfreier Produkte reagiert, Tendenz und Umsatz steigend. Allerdings ist die Pathogenese bis heute ungeklärt, die Diagnose aufgrund fehlender objektiver Labortests schwierig und auch die Ursachen, Trigger oder die Prävalenz sind unbekannt. Handelt es sich um ein Verarbeitungsproblem? Klar sei, so Bischoff, dass die NCWS viele Probleme bereite.
Fructose
Menschen mit einer Fructose-Intoleranz fehlt der GLUT5-Transporter oder er wird in zu geringem Ausmaß exprimiert. Folglich treten Symptome in Abhängigkeit der Dosis und der verfügbaren Rezeptor-Anzahl auf.
Histamin
Die meisten Menschen vertragen Histamin-Mengen aus der Nahrung (Fisch, Wurst, Sauerkraut, Ketchup, Alkohol), wobei der Gehalt vom Frischegrad abhängt (je frischer, desto weniger Histamin). Eine Intoleranz besteht, sobald subtoxische Mengen, die für die meisten Menschen verträglich sind, nicht mehr vertragen werden. Abgebaut wird der Botenstoff durch das Enzym Diaminooxidase (DAO). Die Hypothese, ein DAO-Mangel würde die Intoleranz verursachen, ist daher naheliegend. Faktisch ist der Pathomechanismus bis heute aber nicht bewiesen. Wissenswert ist auch, dass das meiste Histamin endogener Natur ist und der exogene Nahrungsanteil praktisch keine Rolle spielt.
Bischoff kommentierte die Vielzahl von NMU mit den Worten:
Wahrnehmung und Einbildung nehmen zu.
Therapiemöglichkeiten
Entscheidend ist eine Eliminationsdiät, deren Grundlagen Patienten optimalerweise durch eine versierte Ernährungsberatung erlernen und die durch regelmäßige ärztliche Erfolgskontrollen begleitet wird – unabhängig davon, ob eine Nahrungsmittelintoleranz oder -allergie vorliegt. Reicht eine Diät allein nicht aus, können mittels medikamentöser Begleittherapie gute Erfolgsergebnisse erzielt werden:
- Im Falle einer intestinalen Dysbiose (= bakterielle Fehlbesiedelung des Darms) werden ausgewählte Antibiotika (Metronidazol, Rifaximin), Probiotika mit Lactobazillen und Präbiotika sowie die FODMAP(fermentable oligo-, di-, monosaccharides and polyols)-Diät eingesetzt.
- Bei der Histamin-Intoleranz kommen hochdosierte H1-Antihistaminika, Mastzellstabilisatoren und DAO-Inhibitoren zum Einsatz.
- Für die Therapie der Fructose-Malabsorption ist es ausreichend, auf Getränke oder Süßigkeiten mit zugesetzter Fructose zu verzichten. Im Sinne einer gesunden Ernährung sollten Obst und Gemüse weiterhin konsumiert werden, rät Bischoff.
- Eine ergänzende antiallergische Therapie kann immer erwogen werden (z.B. Antihistaminika, Mastzellstabilisatoren, Budesonid, Prednisolon).
- In Fällen mit (erwarteter) Schocksymptomatik muss ein Notfallset (Adrenalin, Glucocorticoide, Clemastin) verabreicht werden.
Good to know
Die Zöliakie-Therapie ist gut etabliert, allerdings befinden sich die Leitlinien aktuell in Überarbeitung. Abschließend wies Bischoff darauf hin, dass die S1-Leitlinie zur Behandlung der Histaminintoleranz mit Vorsicht zu genießen ist. Seiner Meinung nach ist ihr Wert fraglich, weil die Evidenz unzureichend ist und an ihrer Ausarbeitung nur Allergologen, aber keine Gastroenterologen beteiligt waren.
Quelle
Bischoff, Nahrungsmittelunverträglichketen – was ist fake, was ist Fakt? 44. Heidelberger Web-Kongress der LAK BW vom 20. bis 21. November 2021