Multiple Sklerose: Lernen von der COVID-19-Impfung?

Es ist gerade ein paar Wochen her, dass die ersten mRNA-Impfstoffe auf den Markt kamen. Doch das Konzept wird auch in anderen Indikationen geprüft. Eine tierexperimentelle Studie bei multipler Sklerose (MS) weckt Hoffnungen auf einen Durchbruch, so die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) in einer Pressemitteilung.

Erste tierexperimentelle Daten zur mRNA-Impfung

Die Therapie der MS besteht darin, die Inflammation zu unterdrücken und das überaktive Immunsystem zu modifizieren – ohne die komplette Abwehrfunktion gegen Krankheitserreger auszuschalten. Um neue Schübe zu verhindern, ist meist eine Dauertherapie nötig. Ein Prinzip, das zur Therapie Autoimmunerkrankungen wie der MS erforscht wird, beruht wie die Desensibilisierung bei Allergien auf Toleranzentwicklung: Das körpereigene Immunsystem soll wieder an das entsprechende Autoantigen gewöhnt werden.

Wie die DGN in einer Pressemitteilung gerichtet, wurde bei der MS ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung getan: In einem MS-Mausmodell konnten Forscher durch kontrollierte Zufuhr von mRNA-Bausteinen eines beteiligten Autoantigens (ein Myelinprotein) die autoimmune Gehirn- und Rückenmarksentzündung verhindern oder sogar rückgängig machen. Erkrankte Mäuse erholten sich. Die Studie, an der Wissenschaftler aus Mainz und Köln sowie von BioNTech und Boehringer Ingelheim beteiligt waren, wurde kürzlich in der Zeitschrift Science veröffentlicht.

Für die Untersuchung wurde die Myelin-mRNA mit Pseudouridin modifiziert („m1Ψ-mRNA“) und dann – in liposomalen Nanopartikeln eingebettet – MS-Mäusen gespritzt. In der Folge nahm die Anzahl entzündungsauslösender T-Effektor-Zellen ab und regulatorischer T-Zellen zu. Letztere lösten eine starke „Bystander-Reaktion“ aus. So werden Autoimmunreaktionen auch gegen verwandte Autoantigene unterdrückt. Das ist wichtig, da so verschiedene Autoantigene, die bei jedem Patienten zu einem individuellen autoantigenen Immunprofil führen, berücksichtigt werden könnten.

„Keine greifbare Therapieoption, die schnell umgesetzt werden kann“

Der Wirkmechanismus des m1Ψ-mRNA-Impfstoffs gegen MS ist nicht mit einem Corona-Impfstoff zu vergleichen. Den Impfprinzipien gemeinsam ist lediglich das Einbringen der Antigene in den Körper. Der Ablauf im Immunsystem ist dann aber in entgegengesetzte Richtungen: Während bei Autoimmunerkrankungen eine Toleranzinduktion gegen das Antigen bewirkt werden soll, ist bei einer Impfung gegen Viren oder gegen Krebs das Gegenteil erwünscht. Hier soll das Immunsystem lernen, Viren oder Tumorzellen künftig zu erkennen und zu vernichten. Erschwerend kommt hinzu, dass längst nicht alle Antigene bekannt sind, die bei der MS eine Rolle spielen.

Bis es tatsächlich einen Impfstoff gegen MS geben könnte, ist es noch ein weiter Weg. Doch der Generalsekretär der DGN, Prof. Peter Berlit, zeigte sich zuversichtlich:

„Die Entwicklung dieses Grundprinzips [..] kann ein erster wichtiger Schritt für die Entwicklung einer zielgerichteten Therapie sein.“

Quelle

Krienke C, et al. A noninflammatory mRNA vaccine for treatment of experimental autoimmune encepha-lomyelitis. Science 2021;371:145–53. DOI: 10.1126/science.aay3638.

Pressemitteilung der DGN vom 10.02.21: „Erste tierexperimentelle Daten zur mRNA-Impfung gegen Multiple Sklerose“