Auf You-Tube kursiert ein Video, das die Entwicklung neuer Wirkstoffe am Computer vorstellt. Thema ist auch die Unreal-Engine, auf der zahlreiche Computerspiele basieren. Laut dem Video spielt die Software im konkreten Fall eine wichtige Rolle.
Das klassische Spiel mit der Kristallstruktur
Beim strukturbasierten Wirkstoff-Design werden in der Regel Zielstrukturen (mit oder ohne natürlichen Liganden) mittels Röntgenkristallographie vermessen. Anschließend berechnen und überlegen die pharmazeutischen Chemiker, welche Liganden als Arzneistoff geeignet sein könnten. So designen die Forscher sowohl Agonisten als auch Antagonisten mit unterschiedlichen Bindungsaffinitäten.
Für die Vermessung mit der Röntgenkristallographie sind Kristalle notwendig, aber viele Strukturen lassen sich nur schwierig kristallisieren. Außerdem entspricht die Konformation im Kristall nur bedingt dem physiologischen Zustand.
NMR-Daten als neuer Player
Die Firma C4X Discovery arbeitet mit einem neuartigen Ansatz, bei dem ein Ligand mit NMR-Spektroskopie (Kernspinresonanzspektroskopie) vermessen wird. Daraus berechnet ein Computerprogramm ein Modell, das die beweglichen Eigenschaften des Moleküls beziehungsweise seiner Bindungen beinhaltet. Diese Methode liefert zusätzliche Informationen zur Röntgenkristallographie. Sie kann auch eingesetzt werden, wenn zum Beispiel kein Kristall der Zielstruktur vorliegt und eine Röntgenkristallographie nicht möglich ist. Dann können sich die Forscher bei der Entwicklung neuer Arzneistoffe an den bevorzugten Konformation des natürlichen Liganden unter physiologischen Bedingungen (also in Lösung) orientieren. Dieses Vorgehen war auch bisher möglich, basierte aber auf theoretischen Daten, statt experimentellen NMR-Befunden.
Virtual Reality erschließt das nächste Level
Das Programm 4Sight der Firma C4X Discovery visualisiert die neuen Molekülmodelle. Durch entsprechende Ausrüstung können die Forscher sogar mit den Modellen in einer virtuellen Umgebung interagieren. Umgesetzt wurde diese Betrachtungssoftware auf Basis der Unreal-Engine, die sonst hauptsächlich für Computerspiele eingesetzt wird.
Keine Waffe gegen den Endboss
Die Beweglichkeit von Liganden auf Basis von NMR-Daten zu berechnen, ist ein interessanter Ansatz. Die rein theoretischen Modelle waren für viele Strukturen ungeeignet.
Da die Betrachtung von flexiblen dreidimensionalen Strukturen am Desktop sehr viel Phantasie erfordert, könnte eine Darstellung in der virtuellen Realität hilfreich sein.
Trotzdem werden diese neuen Ansätze die Entwicklung von Arzneistoffen nicht revolutionieren. Wir können bereits sehr gut Agonisten und Antagonisten für einen definierten Rezeptor erstellen. Aber wie beeinflusst die Modulation eines bestimmten Rezeptors das Krankheitsgeschehen in vivo? Und was passiert noch an anderen Orten mit dem Wirkstoff im Körper? Das sind Fragen, die abschließend erst in der Klinik geklärt werden können und den aufwendigsten Teil der Wirkstoffentwicklung darstellen. Für die Beantwortung dieser Fragen leisten die oben vorgestellten Methoden leider keinen Beitrag.