Cannabinoide in der Schmerzmedizin: Auch im „Tatort“ werden Schmerzen weggeraucht

Der „medical need“ in der Schmerzmedizin ist groß. Bereits seit März 2017 sind Cannabinoide verordnungsfähig und im Bereich der medizinischen Cannabisprodukte herrscht seitdem Aufbruchsstimmung. Das wurde auf dem 30. Deutschen Schmerz- und Palliativtag Anfang März 2019 in Frankfurt deutlich. Und auch im Kölner Tatort rauchte der ehemalige Sprengmeister Haug am letzten Sonntag ärztlich verordnete Joints gegen seine Phantomschmerzen.

Zwei Jahre Verordnungsfähigkeit cannabishaltiger Arzneimittel

Seit Inkrafttreten des „Cannabisgesetzes“ 2017 (PDF) können Ärzte Cannabisprodukte verordnen: in Form von Cannabisblüten und -extrakten, Dronabinol (Delta-9-trans-Tetrahydrocannabinol, THC) sowie als Fertigarzneimittel Nabilon und Nabiximols. Seitdem sind die Abgaben von cannabishaltigen Fertigarzneimitteln, Rezepturen und Blüten stetig gestiegen.

Derzeit stellt die Verordnung von Cannabinoiden jedoch noch keine Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen dar, sondern unterliegt einem Erstattungsvorbehalt. Voraussetzungen für eine erfolgversprechende Erstattung: Der Patient leidet unter einer schwerwiegenden Erkrankung nach SGB V und es gibt keine Therapiealternativen, aber eine begründete Aussicht auf Symptombesserung.

Grundsätzlich sind Cannabinoide als Add-On zu sehen, wenn die Standardtherapie bei einer schwerwiegenden Erkrankung nicht mehr ausreichend wirkt.

Evidenz oder Eminenz?

Was bei der Verschreibungsfähigkeit von Medizinalhanf nicht berücksichtigt wurde, sind die Standards, die für Arzneimittelzulassungen in Europa eigentlich üblich sind. Zu vielen Krankheitsbildern können aufgrund der begrenzten Datenlage daher noch gar keine evidenzbasierten Aussagen zur Wirksamkeit gemacht werden. Das betonte Michael Überall, Nürnberg, auf dem Schmerz- und Palliativtag.

Keine ausreichende Evidenz für Cannabinoide aus klinischen Studien gibt es laut Überall bei Tumorschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen oder bei Appetitlosigkeit bei Krebs und AIDS.

Lediglich für das für erwachsene Patienten mit multipler Sklerose (MS) und mittelschwerer bis schwerer Spastik zugelassene Nabiximols-Oromukosalspray liege eine gute Datenbasis vor, die in einer Auswertung aus dem PraxisRegister Schmerz von Überall & Müller-Schwefe bestätigt werden konnte. Bei der Gesamtauswertung zeigte sich, dass Patienten mit neuropathischen Schmerzen von dem Spray profitierten, nicht jedoch Patienten mit nozizeptiven Schmerzen – also Schmerzen, die durch Gewebsverletzungen entstehen.

Mehr Sicherheit bei der Verordnung

Medizinische Leitlinien bieten in definierten klinischen Situationen Entscheidungshilfen und machen die medizinische Versorgung sicherer. Sie nützen jedoch wenig, wenn sie die Patientenversorgung nicht verbessern, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), Johannes Horlemann, Kevelaer, auf dem Schmerz- und Palliativtag auf einer Pressekonferenz.

Die DGS hat daher sogenannte PraxisLeitlinien erstellt. Sie berücksichtigen nicht nur die externe Evidenz aus randomisierten kontrollierten Studien, sondern auch interne Evidenz aus Erfahrungen der Anwender und Patienten. Eine der DGS-Leitlinien ist die „PraxisLeitlinie Cannabis“. Sie soll Schmerztherapeuten mehr Sicherheit bei der Verordnung von Cannabinoiden geben und die Antragstellung auf Kostenübernahme erleichtern.

Dronabinol-Fertigrezepturen stehen in der Leitlinie auf einer Stufe mit den Fertigarzneimitteln. Die Blütentherapie wird hingegen ausdrücklich nicht empfohlen: Zum einen werden schnell hohe Wirkstoffpeaks erreicht, zum anderen sind die Konzentration an THC und Cannabidiol (CBD) nicht konstant.

Ein weiteres Problem der Blüten betrifft vor allem Tumorpatienten im Endstadium ihrer Erkrankung: Cannabis-Blüten können mit Pilzen befallen sein.

Sicherheit in der Arzneimittelversorgung

Auswirkungen auf die Versorgung von Patienten mit cannabisbasierten Wirkstoffen wird auch das „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV)“ haben. Es wurde als Konsequenz aus den letzten Arzneimittelskandalen beschlossen und wird vermutlich Mitte 2019 in Kraft treten. Unter anderem sollen Dosisanpassungen und Wechsel zwischen Blütensorten oder verschiedenen Extrakten einfacher werden und voraussichtlich auch die Abgabepreise von cannabisbasierten Rezepturarzneimitteln sinken.

In der Zukunft interessant: Cannabidiol

Therapeutisch interessant ist nicht nur das Tetrahydrocannabinol (THC, Dronabinol), sondern auch das kaum psychoaktiv wirkende Cannabidiol (CBD). Es wirkt antipsychotisch, müsste aber für stärkere Effekte in deutlich höheren Dosen als bislang üblich eingesetzt werden. Außerdem stehen klinische Studien noch aus – die Wirksamkeit wurde bislang vor allem im Tiermodell untersucht.

Zurück zum Tatort

Der ehemalige Sprengmeister Haug aus dem Kölner Tatort hat bei einem Sprengunfall Teile seiner Extremitäten und seine Hoden verloren und sitzt seither im Rollstuhl. Dass Cannabis-Blüten vor allem für Palliativpatienten nicht geeignet sind, dürfte ihn nicht jucken. Ihm kommt auf jeden Fall die positive Wirkung auf neuropathische Schmerzen zugute, ebenso wie anxiolytische Begleitwirkungen. Wie er mit der appetitsteigernden Wirkung umgeht, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis.


30. Deutschen Schmerz- und Palliativtags 2019, Frankfurt: Lunch-Symposium „Cannabis als Medizin – Evidenz oder Eminenz?“, Symposium „Cannabinoide in Theorie und Praxis“ und Themen-Pressekonferenz „März 2019: Sind Cannabinoide in der Versorgungsrealität angekommen?“, 7. und 8. März 2019.