Seit wenigen Tagen ist die interdisziplinäre S3-Leitlinie „Neuroborreliose“ online, zunächst auf der Website der federführenden Deutschen Gesellschaft für Neurologie, nun auch auf der Website der AWMF. Der Veröffentlichung war eine juristische Auseinandersetzung vorangegangen, weil nicht alle beteiligten Fachgesellschaften die Leitlinienempfehlungen mit tragen wollten.
An der Entwicklung der S3-Leitlinie wirkten mehr als 20 Fachgesellschaften und Organisationen mit. Die Leitlinie löst die vorangegangene S1-Leitlinie ab und bezieht nun auch die Diagnostik und Therapie bei Kindern ein. Weitere Neuerungen betreffen vor allem die Empfehlungen zur Antibiotikatherapie und die Bewertung unspezifischer Symptome.
Bei früher Neuroborreliose werden für Erwachsene Doxycyclin, Benzylpenicillin (Penicillin G), Ceftriaxon und Cefotaxim in Hinblick auf die Rückbildung der neurologischen Symptomatik jetzt als gleich gut wirksam und verträglich beurteilt. Auch für die Behandlung einer späten Neuroborreliose wird diese Wirkstoffauswahl empfohlen. Die Antibiotikabehandlung sollte über einen Zeitraum von 14 Tagen bei früher Neuroborreliose und 14 bis 21 Tage bei später Neuroborreliose erfolgen. Eine längere antibiotische Therapie bringt keinen Nutzen. Für andere antibiotische Strategien – Kombinationen bzw. Chloroquin, Carbapeneme oder Metronidazol – fanden die Leitlinienautoren keine validen auswertbaren bzw. gar keine Studiendaten.
Eine chronische Neuroborreliose wird nicht selten als Ursache für unspezifische Beschwerden wie Fatigue, muskuloskelettale Beschwerden oder kognitive Störungen diskutiert. Für diesen Zusammenhang fanden die Leitlinienautoren keine Evidenz, sondern vermuten zu einem erheblichen Teil Studienartefakte infolge unscharfer Falldefinitionen.
Kein einhelliger Konsens
Die Deutsche Borreliose-Gesellschaft (DBG) und drei Patientenorganisationen beurteilen die Evidenz zu Diagnostik und Therapie der Neuroborreliose zum Teil anders und haben die Leitlinie deshalb nicht mit verabschiedet. Die Veröffentlichung der Leitlinie sollte sogar durch eine einstweilige Verfügung unterbunden werden, die aber Mitte März vom Landgericht Berlin aufgehoben wurde. Die abweichenden Positionen sind als Dissenserklärungen im Leitlinienreport dokumentiert.
Die S3-Leitlinie Neuroborreliose gilt wie üblich für drei Jahre, also bis April 2021. Entwickelt wird derzeit eine S3-Leitlinie zur kutanen Lyme-Borreliose. Anschließend soll eine S3-Leitlinie zu Lyme-Arthritis, Lyme-Karditis und anderen seltenen Manifestationen erarbeitet werden. Alle drei S3-Leitlinien sollen dann modulare Bestandteile einer interdisziplinären S3-Gesamtleitlinie „Lyme-Borreliose – Diagnostik und Therapie“ darstellen.