Leiden Frauen unter Migräneattacken, treten diese oft kurz vor oder während der Monatsblutung auf. Eine mögliche Erklärung für diese Korrelation liefert eine Kohortenstudie, die von Forschern der Charité Universitätsmedizin Berlin und der Universitätsmedizin Greifswald durchgeführt wurde.
Hormonschwankungen und Migräne
Frauen sind etwa dreimal häufiger als Männer von Migräne betroffen. Bei der Häufigkeit und Heftigkeit der Migräneattacken scheinen Hormonschwankungen eine Rolle zu spielen: Rund um die Menstruation oder beim Eintritt in die Wechseljahre können die Attacken öfter und heftiger auftreten. Während einer Schwangerschaft oder mit Abschluss der Menopause hingegen bessern sich bei vielen die Symptome, und die Migräneattacken werden seltener.
Wie die Hormonschwankungen genau die Migräne beeinflussen, ist noch größtenteils unklar. Man weiß aber inzwischen, dass Sexualhormone bei Mäusen die Freisetzung des an Migräne beteiligten Botenstoffs Calcitonin Gene-Related Peptide(CGRP) im trigeminovaskulären System modulieren können.
Nun prüfte die Charité-Forschungsgruppe in einer Kohortenstudie, ob der Zusammenhang zwischen weiblichen Hormonen und der Ausschüttung von CGRP auch beim Menschen besteht. Sie bestimmten bei insgesamt 180 Frauen aus sechs verschiedenen Gruppen die CGRP-Spiegel in der Tränenflüssigkeit und im Plasma: Teilnehmerinnen mit episodischer Migräne mit regelmäßigem Menstruationszyklus, mit hormoneller Verhütung oder in der Postmenopause sowie jeweils entsprechende gleichaltrige Frauen ohne Migräne.
Der CGRP-Spiegel im Plasma und in der Tränenflüssigkeit wurde zu unterschiedlichen Zeitpunkten bestimmt:
- bei Frauen mit regelmäßigem Menstruationszyklus während der Monatsblutung (Tag 2 ± 2) und zum Zeitpunkt des Eisprungs (Tag 13 ± 2)
- bei Frauen mit kombinierter hormoneller Verhütung (Kombinations-Pille mit Östrogen und Gestagen) an Tag 4 ± 2 des hormonfreien Intervalls und zwischen den Tagen 7–14 der Hormoneinnahme
- bei postmenopausalen Frauen einmal zu einem zufälligen Zeitpunkt
Erhöhter CGRP-Spiegel während der Menstruation
Während der Menstruation war die CGRP-Konzentration bei Migränepatientinnen deutlich höher als bei den Teilnehmerinnen ohne Migräne, sowohl im Plasma als auch in der Tränenflüssigkeit:
- Plasma: 5,95 pg/ml (IQR 4,37–10,44) vs. 4,61 pg/ml (IQR 2,83–6,92), p=0,020
- Tränenflüssigkeit: 1,20 ng/ml (IQR 0,36–2,52) vs. 0,4 ng/ml (IQR 0,14–1,22), p=0,005
Während der Menstruation war die CGRP-Konzentration bei Migränepatientinnen mit regelmäßigem Zyklus im Vergleich zu Patientinnen mit KOK zumindest in der Tränenflüssigkeit statistisch signifikant höher, nicht aber im Plasma.
Bei Frauen, die eine Kombi-Pille einnehmen, gibt es kaum Schwankungen des Östrogenspiegels. In dieser Studie zeigte sich, dass sich auch die CGRP-Konzentration im Verlauf des künstlichen Zyklus nicht veränderte. Ähnliche Ergebnisse ergaben sich für Frauen, die die Wechseljahre abgeschlossen hatten. Migränepatientinnen, die eine Kombi-Pille nahmen oder in der Postmenopause waren, wiesen ähnliche CGRP-Spiegel wie die Teilnehmerinnen der jeweiligen Kontrollgruppen auf.
Die Autoren der Studie, die in der Fachzeitschrift Neurology publiziert wurde, schlussfolgerten, dass unterschiedliche Sexualhormonprofile die CGRP-Konzentration bei Frauen mit Migräne mit (aktueller oder früherer) Menstruationsfähigkeit beeinflussen können. Dr. Bianca Raffaelli, die Studienkoordinatorin, resümierte laut einer Pressemitteilung der Charité:
Tatsächlich kann die Einnahme der Pille und das Ende der Wechseljahre manchen Migränepatientinnen Linderung verschaffen. Wie aber aus unserer Studie ersichtlich wird, gibt es Frauen, die auch ohne Hormonschwankungen Migräne bekommen. Wir vermuten, dass bei ihnen andere Prozesse im Körper eine Rolle bei der Entstehung einer Attacke spielen. Denn CGRP ist nicht das einzige entzündliche Peptid, das Migräne auslösen kann.
Mögliche Relevanz für CGRP(R)-Inhibitoren?
In den letzten Jahren wurden zahlreiche neue Arzneimittel entwickelt, die sich gegen CGRP oder seinen Rezeptor richten. Die Studienautoren stellen sich nun die Frage, ob CGRP-Inhibitoren bei verschiedenen hormonellen Zuständen möglicherweise unterschiedlich wirken. Das müssten weitere Studien zeigen – zuvor sollten jedoch die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung durch größere Studien bestätigt werden.
Quelle
Raffaelli B et al. Sex hormones and calcitonin gene-related peptide (CGRP) in women with migraine: a cross-sectional, matched cohort study. Neurology 2023 Feb 22. doi: 10.1212/WNL.0000000000207114.