Die Gesellschaft ist vielfältig, doch diese Vielfalt wird im Sinne des Wohlbefindens des einzelnen Menschen noch nicht ausreichend berücksichtigt. So lautete ein Fazit beim 2. Diversity in Health Congress 23.
Diskriminierung per Gesetz?
Zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen zählen explizit auch: Gesundheit und Wohlergehen, Geschlechtergleichheit, weniger Ungleichheiten und keine Armut. Die Veranstalter des 2. Diversity in Health Congress 23 möchten mit ihrer Veranstaltung einen prüfenden Blick auf die aktuelle Lage richten, Defizite aufdecken und Lösungsansätze verfolgen. Vor diesem Hintergrund schauten am 28. Februar und 1. März 2023 gleich mehrere Referenten auf die Situation queerer Menschen im deutschen Gesundheitssystem.
Unter dem Titel „Stereotype und Stigmatisierung in Medizin und Versorgung“ äußerte Tessa Ganserer, Mitglied des Deutschen Bundestages, deutlichen Verbesserungsbedarf im Umgang mit gender-nonkonformen Geschlechtern. Sie sieht hier zwei Arten der Diskriminierung, die sowohl das Wohlergehen der betroffenen Menschen negativ beeinflussen als auch folgenschwere Vermeidungsstrategien hervorrufen, etwa bei der Inanspruchnahme von Standard- und Vorsorgeuntersuchungen.
Der Gesundheitszustand queerer Menschen, sowohl physisch als auch psychisch, ist oftmals schlechter als in der übrigen Bevölkerung.
Eine strukturelle Diskriminierung bestehe unter anderem im deutschen Transsexuellengesetz, das eine Zwangspathologisierung darstelle. Weiterhin kritisierte sie die systembedingte Benachteiligung bei der Kinderwunschbehandlung, eingeschränkte Blutspendebestimmungen für Männer, die Sex mit Männern haben, sowie die Geschlechtsnormierung bei intersexuellen Kindern. Eine zusätzliche, individuelle Diskriminierung durch handelnde Personen entstehe meist durch Vorurteile und Unwissenheit. Ihr Wunsch an die Medizin lautet, die speziellen Bedürfnisse jedes Menschen zu berücksichtigen.
Eingeschränkte Selbstbestimmung
Ergänzend beschrieb Mari Günther, Fachreferentin für Beratungsarbeit, Bundesverband Trans*, den Umgang mit trans- und nicht-binären Personen in der Gesundheitsversorgung. Auch sie sieht in der Annahme einer Zwei-Geschlechtlichkeit ein grundsätzliches Problem, das auch strukturelle Veränderungen nötig mache. Queere Menschen seien weder krank noch gestört oder im falschen Körper geboren, es bestehe außerdem in keinem Alter eine Notwendigkeit, sich für ein Geschlecht entscheiden zu müssen.
Transpersonen sind Menschen, die mit dem ihnen bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht, nicht ganz oder nicht immer einverstanden sind.
Die Pathologisierung durch die ICD-10-Einteilung des Transsexualismus als psychische Störung führe zu einer massiven Einschränkung der Selbstbestimmung von Kindern und Erwachsenen. Transpersonen werde die Kompetenz abgesprochen, selbst über ihre Körperlichkeit und ihren Versorgungsbedarf zu entscheiden. Viele scheuten daher die Medizin, der Anteil der psychischen Gesundheitsbelastung sei bei Transpersonen deutlich erhöht, ebenso das Suizidrisiko bereits in jungen Jahren.
Gesundheitssystem nicht gut vorbereitet
Erfahrungen von Transpersonen oder homosexuellen Menschen zeigen, dass Diskriminierung häufig aufgrund von Skepsis, Unwissen und Vermeidungsverhalten seitens medizinischen Personals erfolgt. Sowohl unangemessene Neugier und Druck als auch negative Reaktionen, Ungleichbehandlungen und ein komplettes Ausblenden des Themas Transsexualität scheinen oft beobachtete Verhaltensweisen von Ärzten, Psychotherapeuten und anderen Mitarbeitern der Gesundheitsversorgung zu sein.
Günther ermutigte gesundheitsprofessionelle Personen, das eigene Potenzial weg vom Schaden und Diskriminieren hin zum respektvollen Umgang zu erkennen und umzusetzen. Blinde Flecken seien hierbei anzugehen, auch in Lehre und Ausbildung von medizinischen Berufen.
Quelle
2. Diversity in Health Congress 23. Livestream am 28.02.2023, Veranstalter: WIG2 GmbH, Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung, Leipzig.