Patientendaten aus der Routineversorgung nutzen, um die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von Therapien oder DiGA schnellstmöglich zu validieren – in England ist das bereits möglich. Wie sieht es in Deutschland aus?
Daten nutzen – Daten schützen
Daten aus dem Gesundheitssystem oder aus abgeschlossenen klinischen Studien können wichtige und entscheidende Informationen für die Prävention und Therapie von Krankheiten liefern. Wirksamkeit, Unwirksamkeit, aber auch Personalisierung der Therapie können so in bisher unerreichter Geschwindigkeit und Qualität erhoben werden.
Die englische RECOVERY-Studie hat dies während der COVID-19-Pandemie vorgemacht und gezeigt, wie viel Potenzial in Gesundheitsdaten steckt, so Professor Dr. Georg Ertl, Generalsekretär der DGIM, Internist und Kardiologe aus Würzburg, anlässlich der Jahrespresseveranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) am Dienstag:
- Entwurf des Protokolls bis zum Beginn der Studie in neun Tagen
- Nachweis einer ersten lebensrettenden Therapie zehn Wochen danach
- Anerkennung als Standardtherapie vom National Health Service (NHS) nach weiteren drei Stunden
- für vier Therapien die Wirksamkeit nachgewiesen
- sieben weitere als unwirksam identifiziert
Auch konnten im Sinne einer personalisierten Medizin Faktoren identifiziert werden, die ein Ansprechen der Therapie für manche Patienten wahrscheinlicher machten.
Daten retten Leben.
Ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg war die Fusion von routinemäßig erhobenen Daten mit spezifisch für die Studie erhobenen Daten. Dies ist in Deutschland aktuell aus zwei Gründen nicht möglich:
- Datenschutz: Zum einen bedarf es eines Gesetzes, das den Zugriff auf diese Daten ermöglicht. Zum anderen muss sichergestellt sein, dass diese patientensensitiven Daten auch wieder gelöscht werden.
Der Patient entscheidet!
- Technische Umsetzung:
In Deutschland verfügen bislang nur 0,7 % der gesetzlich Versicherten (circa 550.000 Personen) über eine elektronische Patientenakte (ePA). Dabei hat eine 2022 veröffentlichte, repräsentative Befragung gezeigt, dass rund 80 % der Menschen in Deutschland ihre Gesundheitsdaten der medizinischen Forschung zur Verfügung stellen würden, 70 % wollen sie sogar in die elektronische Patientenakte aufgenommen haben.
DiGA – eine Innovation aus Deutschland
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversorgung verordnet werden können, wenn sie in der entsprechenden Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgeführt sind, sind eine Innovation aus Deutschland, so Professor Dr. med. Martin Möckel, Sprecher der DGIM-Arbeitsgruppe DiGA/KI in Leitlinien.
Welche und wie viele DiGA gibt es aktuell?
In die BfArM-Liste wurden inzwischen insgesamt 45 DiGA jemals in die BfArM-Liste aufgenommen, davon fünf wieder gestrichen, so dass zum Stand 30.01.2023 insgesamt 40 unterschiedliche DiGA verordnet werden können. Nur 15 DiGA sind bisher dauerhaft in das Verzeichnis aufgenommen worden. Diese DiGA haben schwerpunktmäßig Depression, Angststörungen und psychosomatische Krankheitsbilder zum Inhalt. Lediglich drei dauerhaft zugelassene DiGA haben klare Bezüge zur Inneren Medizin (HelloBetter bei Diabetes und Depression; Vivira bei Rückenschmerzen [Bezug zur Rheumatologie] sowie zanadio bei Adipositas).
DiGA 1.0
Wie wirken DIGA und was sind die Vorteile aus der Innovation „zulasten der gesetzlichen Krankenkasse“? Aktuell ist dies unklar. Auch hierfür bedarf es der Auswertung der Daten aus den DiGA für Versorgungsforschungsstudien. Was man aktuell weiß, ist, dass DiGA die Verfügbarkeit für bestimmte Maßnahmen (z.B. Rückenübungen) niedrigschwellig erhöhen, die jedoch auch ohne DiGA möglich wären. In gewissem Umfang geben sie Feedback. Unklar bleibt aber, wie lange DiGA wirken oder was passiert, wenn man die Intervention (z.B. Kopfschmerz-App) nach einem Monat beendet, obwohl drei Monate vorgesehen waren. Was passiert bei Wiederauftreten von Kopfschmerzen? Sollte man dann dieselbe DiGA verwenden oder auf eine andere umsteigen?
DiGA 2.0
Zukünftig werden zudem DiGA höherer Risikogruppen entwickelt und zugelassen werden, die zum Beispiel mit technischen Geräten wie Smartwatches oder anderer Sensorik interagieren. Hier ergeben sich mehr Möglichkeiten, aber auch mehr Risiken. Daher sollte bereits jetzt auch ein Augenmerk auf mögliche direkte und indirekte unerwünschte Wirkungen und Effekte gelegt werden, die momentan noch weitgehend unerforscht sind.
Quelle
DGIM-Pressestelle. Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin: „Begehrtes Gut: Wie Forschung mit Gesundheitsdaten Diagnostik, Therapie und Früherkennung verbessern kann“ am 31. Januar 2023.