Nach einem Schädel-Hirn-Trauma können sich Kopfschmerzen chronifizieren. Erstaunlicherweise trifft das nicht vermehrt auf Patienten mit schweren Verletzungen zu.
Gehirnerschütterung hat unsichtbare Folgen
Chronische Kopfschmerzen können sekundär auftreten, also in Folge einer anderen Erkrankung oder einer Verletzung. Ein Beispiel dafür sind posttraumatische Schmerzsymptome nach einem Schädel-Hirn-Trauma. Bei bis zu einem Drittel der etwa 400.000 jährlich in Deutschland betroffenen Traumapatienten verselbstständigen sich die Kopfschmerzen und führen zu dauerhaften Beeinträchtigungen.
Auf der Online-Pressekonferenz im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses 2022 stellte Priv.-Doz. Dr. Torsten Kraya, Leipzig, Zahlen und Hintergründe vor. Demnach treten bei circa jedem zweiten Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma innerhalb von sieben Tagen akute Kopfschmerzen auf. Halten diese länger als drei Monate an, ist der posttraumatische Kopfschmerz als chronisch zu definieren.
Obwohl bei einem leichten Schädel-Hirn-Trauma oft keine sichtbaren Gewebeverletzungen oder Frakturen vorliegen, kann die Gehirnerschütterung weitreichende Folgen haben. Neuere Forschungen zeigen, dass die mechanische Belastung schlagartig die Durchlässigkeit von Nervenzellmembranen beeinflusst. Damit verbunden sind zahlreiche Veränderungen bei Ionenströmen, Signalstoffen, der neuronalen Aktivität, dem Zellstoffwechsel und regionalen Blutflüssen im Gehirn. Auch die Freisetzung entzündungsfördernder Substanzen scheint eine Rolle bei der Schmerzentstehung zu spielen.
Akute Veränderungen normalisieren sich innerhalb einiger Tage oder Wochen wieder. Dennoch bleiben bei manchen Menschen die Schmerzen bestehen.
Vermutlich spielen hier dauerhafte Veränderungen der Schmerzwahrnehmung, der körpereigenen schmerzhemmenden Systeme und eine Dysbalance des autonomen Nervensystems eine Rolle. Das wäre auch eine Erklärung für weitere Beschwerden, die nach einem Schädel-Hirn-Trauma auftreten können, etwa Schlaf- und Angststörungen oder Depressionen.
Trauma-Intensität nicht mit Schmerzstärke gleichzusetzen
Eher überraschend sei die Beobachtung, dass schwere Traumata keineswegs mit starken Kopfschmerzsymptomen verknüpft sind. Es ist genau umgekehrt: Patienten mit leichten Schädel-Hirn-Verletzungen entwickeln häufiger chronische Kopfschmerzen. Öfter betroffen sind zudem junge Menschen, eher Frauen als Männer und Personen, die bereits vorher von einer Migräneerkrankung betroffen waren.
Schon in Akutphase handeln
Kraya zufolge geht man davon aus, dass bereits in der akuten Phase nach dem Trauma die Weichen für die spätere Entwicklung der Kopfschmerzsymptomatik gestellt werden.
Wenn der Schmerz sich erst einmal verselbständigt hat, ist ihm nur noch schwer beizukommen.
Häufig setzt eine gezielte Behandlung jedoch erst ein, wenn die Schmerzen nach mehreren Wochen nicht verschwinden. Seine Empfehlung lautet daher, möglichst früh medikamentös gegenzusteuern – insbesondere bei Patienten mit den oben genannten, bekannten Risikofaktoren für eine Schmerz-Chronifizierung. Bei ihnen sollte idealerweise ein multimodaler Therapieansatz erfolgen, bestehend aus frühzeitiger Schmerztherapie und verhaltenstherapeutischen Elementen sowie gegebenenfalls einer gezielten Aktivierung durch Physiotherapie. Studien weisen auf positive Effekte durch moderate körperliche und geistige Aktivierung binnen 24 oder 48 Stunden nach dem Unfall hin.
Quelle
Deutsche Schmerzgesellschaft e. V., Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V. (DMKG). Schmerzmedizin heute und morgen: Bilanz und Ausblick. Online-Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses am 19. Oktober 2022.