Während der Corona-Pandemie wurden verschiedene nicht-pharmakologische Maßnahmen angewendet, um das Infektionsrisiko in der Öffentlichkeit, an Schulen, in Krankenhäusern oder am Arbeitsplatz reduzieren. Für den Infektionsschutz am Arbeitsplatz wurde nun im Rahmen eines Cochrane-Reviews die Evidenz ausgewertet. Das Ergebnis enttäuscht.
Nur eine Studie entspricht methodischen Mindestanforderungen
Masken, Plexiglasscheiben oder Luftfilter gehören für viele Arbeitnehmer seit der Corona-Pandemie zum Arbeitsleben dazu. Diese nicht-pharmakologischen Maßnahmen sollen – wie das Desinfizieren von Händen und Oberflächen – den Infektionsschutz am Arbeitsplatz erhöhen. Doch wie belastbar ist die Evidenz dieser Maßnahmen? Das wollten Wissenschaftler anhand eines Cochrane-Reviews untersuchen. Doch bis September 2021 (Stichtag der Studiensuche) lag praktisch keine belastbare Evidenz für viele der weit verbreiteten nicht-pharmakologischen Maßnahmen für den Infektionsschutz am Arbeitsplatz vor.
Jörg Meerpohl von Cochrane Deutschland kommentiert die Ergebnisse der Untersuchung in einer Pressemitteilung:
Die Ergebnisse des Reviews zeigen erneut, dass es in zwei Jahren Pandemie nicht gelungen ist, die […] eingesetzten Maßnahmen der Pandemiebekämpfung auf Ebene der öffentlichen Gesundheit durch methodisch gut gemachte Studien auf eine sichere Evidenzbasis zu stellen. Dies ist sehr ernüchternd und stellt ein Versagen der internationalen Forschungsgemeinschaft auf diesem wichtigen Gebiet dar.
Im Bereich der öffentlichen Gesundheit sind aussagekräftige Studien meist aufwendig und methodisch komplex. Daher hatten sich die Cochrane-Autoren nicht auf das für Cochrane Reviews eigentlich obligatorische Studiendesign der randomisierten kontrollierten Studie beschränkt. Stattdessen wurde nach Studien gesucht, die zumindest eine Kontrollgruppe hatten, in der die entsprechende Maßnahme nicht angewendet wurde. Doch selbst dieses Kriterium wurde nur von einer einzigen Studie erfüllt. Bei den anderen Studien ließen sich keine oder nur bedingt Rückschlüsse auf die Wirksamkeit einer Maßnahme ableiten.
Tägliches Testen nach positivem Kontakt scheint Selbstisolation nicht unterlegen
Dass methodisch gute Studien zum Infektionsschutz am Arbeitsplatz durchaus machbar gewesen wären, zeigt die einzige eingeschlossene Studie von Young et al. Hierbei handelte es sich um eine offene, clusterrandomisierte Nichtunterlegenheitsstudie, die 2021 in England durchgeführt wurde. Man verglich eine zehntägige Selbstisolation von Arbeitnehmern nach Kontakt mit einer infizierten Person mit einer Strategie, in der die Arbeitnehmer täglich einen Antigen-Schnelltest durchführten und bei negativem Testergebnis weiterhin an ihren Arbeitsplatz gingen (testbasierte Anwesenheit).
24.000 Mitarbeiter von 162 Schulen wurden 1:1 auf die beiden Testarme verteilt. Die COVID‐bedingten Fehlzeiten betrugen 3704 Abwesenheitstage an 566.502 Risikotagen (6,5 pro 1000 Risikotage) in der Kontrollgruppe und 2932 pro 539.805 Risikotage (5,4 pro 1000 Risikotage) in der Interventionsgruppe. Tägliches Testen war der Selbstisolation somit nicht unterlegen. Aufgrund von Ungenauigkeiten wurde die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz allerdings als niedrig eingestuft.
Evidenzlücken schließen
Der Mangel an gut gemachter Forschung zu nicht-pharmakologischen Ansätzen des Infektionsschutzes gelte nicht nur für Maßnahmen am Arbeitsplatz, sondern auch für Krankenhäuser oder den öffentlichen Raum. Forscher des Universitätsklinikums Basel konnten in diesem Bereich bis zum Jahresende 2021 nur neun randomisierte Studien identifizieren.
In den letzten zwei Jahren wurde sehr viel Geld für Maßnahmen ausgegeben, die auf einer dünnen Evidenzbasis stehen. Natürlich kann man in einer Pandemie nicht warten, bis die Evidenzlage eindeutig ist. Aber man muss Evidenzlücken schnellstmöglich schließen und die entsprechende Forschung mit ausreichenden Mitteln ausstatten.
Kommentar
Dass es keine Evidenz für gängige Maßnahmen zum Infektionsschutz am Arbeitsplatz gibt, bedeutet natürlich nicht, dass sie gar keine Wirksamkeit haben könnten. Doch andersherum darf man ihnen auch nicht einfach eine Wirksamkeit zusprechen. Das gibt die bestehende Datenlage nicht her.
Quellen
Pizarro AB, et al. Workplace interventions to reduce the risk of SARS‐CoV‐2 infection outside of healthcare settings. Cochrane Database of Systematic Reviews 2022, Issue 5. Art. No.: CD015112. DOI: 10.1002/14651858.CD015112.pub2
Pressemittelung vom 30. Mai 2022, https://www.cochrane.de/news/cochrane-review-findet-kaum-gute-studien-zum-infektionsschutz-am-arbeitsplatz