Transgendertherapie aus pharmakologischer Sicht

Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie, Transsexualität, Transidentität, Transgender – die Ausdrucksmöglichkeiten für das Zugehörigkeitsgefühl zum anderen Geschlecht sind vielfältig. Was steckt aus pharmakologischer Sicht dahinter?

„Ein ganz heißes Eisen!“

Mit diesem Worten leitete Dr. med. Christoph Dorn, Hamburg, seinen Vortrag zum Thema „Transgendertherapie in der gynäkologischen Praxis“ beim diesjährigen Fortbildungskongress (FOKO) des Berufsverbandes der Frauenärzte ein. Die geschlechtliche Nichtübereinstimmung und der Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden, fällt laut Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter Persönlichkeitsstörungen F64.0. Dorn zufolge läge die Häufigkeit der Frau-zu-Mann-Angleichungen (Transmann) bei 1:30.000, während Mann-zu-Frau-Angleichungen (Transfrau) mit 1:10.000 dreimal häufiger vorkämen.

Aktuelle Situation in Deutschland

Vor einer angleichenden Hormonbehandlung muss die transsexuelle Identität bei den Betroffenen mindestens zwei Jahre durchgehend bestanden haben. Außerdem muss ein psychotherapeutisches Gutachten vorliegen, das die Indikation bestätigt. Bestehende Begleiterkrankungen müssen zudem adäquat behandelt sein. Ein umfangreiches Screening auf etwaige Risikofaktoren sollte genauso wie die Therapie und die regelmäßigen Nachkontrollen idealerweise durch einen endokrinologisch erfahrenen Arzt durchgeführt werden. Neu ist, dass eine Hormonbehandlung nicht mehr nachgewiesen werden muss und ein psychotherapeutisches Gutachten (keine Zweitsicht mehr wie bisher) ausreichend sind. Für eine Personenstandänderung ist nach dem Transsexuellengesetz seit 2001 keine geschlechtsangleichende Operation mehr verpflichtend. Falls sich Betroffene dennoch für eine OP entscheiden sollten, steht dieser nach erfolgter Risikoaufklärung und einem pschyologischen Gutachten nichts mehr im Wege.

Diagnosestellung – ein komplexes Unterfangen

Vor einer finalen Diagnose muss die transsexuelle Identität mindestens zwei Jahre durchgehend bestanden haben und darf kein Symptom einer anderen psychischen Störung, z. B. einer Schizophrenie, sein. Ein Zusammenhang mit intersexuellen, genetischen oder geschlechtschromosomalen Anomalien muss ausgeschlossen sein. Bei non-binärer Geschlechtsidentität besteht kein Transsexualismus. Die Basis bildet wie bei jeder Diagnose eine ausführliche Anamnese, bei der die Betroffenen körperlich untersucht werden. Dabei können behandlungsrelevante Vorerkrankungen (Thrombose, Lungenembolie, Migräne, Lebererkrankungen, hormonsensitive Tumore) vor dem Beginn der Hormontherapie aufgedeckt oder ausgeschlossen werden. Vor der Testosteron-Gabe erfolgt immer eine gynäkologische Kontrolle. Steht dem aus ärztlicher Sicht nichts entgegen, sind regelmäßige Laborkontrollen im weiteren Therapieverlauf obligatorisch. Diese beinhalten im Falle von Mann-zu-Frau-Angleichungen (Transfrau) die Bestimmung des Hormonstatus, ein Thrombophiliescreening und die Erstellung eines Karyogramms. Nicht zu vergessen seien Dorn zufolge auch Untersuchungen der Prostata, da bei Transfrauen die Prostata erhalten bleibt.

Informationen für Fachpersonal

Obwohl bereits zahlreiche Leitlinien existieren, die nachfolgend aufgeführt sind, ist für 2022 das Erscheinen von zwei bis drei weiteren in Planung:

  • Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und TransGesundheit: S3-Leitlinie zur Diagnostik, Beratung und Behandlung
  • S2k-Leitlinie Geschlechtsangleichende chirurgische Maßnahmen bei Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie
  • S3-Leitlinie Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter, Diagnostik und Behandlung
  • Konsultationsfassung: S3-Leitlinie psychosomatisch orientierte Diagnostik und Therapie bei Fertilitätsstörungen

Daneben gibt es die sogenannten Standards of Care. Dabei handelt es sich um Versorgungsempfehlungen für die Gesundheit von transsexuellen, transgender und geschlechtsnichtkonformen Personen, die von der World Professional Association for Transgender Health herausgegeben werden. Obwohl sich dieses Dokument primär an Fachpersonal richtet, kann es auch für Betroffene selbst und ihr engeres Umfeld hilfreich sein.

und Betroffene

Erfreulicherweise ist auch eine entsprechende Patientenleitlinie zu der oben genannten S3-Leitlinie zur Diagnostik, Beratung und Behandlung verfügbar. Weiterführende Informationen erhalten Betroffene neben den Standards of Care auch bei der Selbsthilfeorganisation Trans-Ident e. V.

Cis oder Trans?

Cis-Frau bzw. Cis-Mann:

  • Person, die biologisch als Frau bzw. Mann geboren wurde und sich mit dem weiblichen bzw. männlichem Geschlecht identifiziert.
  • Die Beurteilung des Geschlechtsidentität erfolgt nach der Geburt anhand der sichtbaren äußeren Geschlechtsmerkmale.
  • Die Geschlechtsidentität stimmt mit dem im Geburtenregister eingetragenen Geschlecht überein.

Transfrau bzw. Transmann:

  • Person, die biologisch zwar als Frau bzw. Mann geboren wurde, sich jedoch nicht mit dem weiblichen bzw. männlichen Geschlecht identifiziert.
  • Es besteht ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zum jeweils anderen Geschlecht.

Angleichende Hormontherapie

Frau-zu-Mann-Angleichung: Transmann

Bei der Frau-zu-Mann-Angleichung steht die Testosterontherapie im Vordergrund. Zur Verfügung stehen Testosteronundecanoat (Nebido®), das alle drei Monate intramuskulär appliziert wird, Testosteronenantat 250 mg alle drei bis vier Wochen(Testoviron®-Depot-250) oder die topische Anwedung von 25 – 50 mg Testosteron als Gel. Daneben ist auch eine Gestagentherapie denkbar. Zentrale Therapiesäule ist die Kontrazeption und Vorsorge, darauf wies Dorn besonders hin. Denn viele der Patienten hätten eine Ovulation und/oder Menstruation. Zum Konzeptionsschutz setze Dorn GnRH-Analoga und/oder zusätzlich eine Hormontherapie ein. Unterbauchbeschwerden könnten unter einer Testosterontherapie auch weiterhin auftreten, da Testosteron über das Enzym Aromatase in Estrogen umgewandelt wird. Das sollte Dorn zufolge im Hinterkopf behalten werden.

Der angestrebte Zielbereich bei der Testosterontherapie orientiere sich am Referenzwert der biologischen, sich als Mann fühlenden Cis-Männer. Außerdem sollte die Estrogenkonzentration zu Beginn und danach alle drei Monate inklusive Blutbild untersucht werden. Der Grund dafür ist, dass Testosteron das Blut verdickt und das Hämatokrit ansteigen lässt (Polyzytämie). In jedem Fall zu berücksichtigen sind die irreversiblen Veränderungen wie Stimmbruch und Vergrößerung der Klitoris, Zunahme der Gesichts- und Körperbehaarung (Virilisierung), Aussetzen der Menstruation (Amenorrhö) und die Abnahme des Körperfettanteils im Vergleich zur Muskelmasse. Dorn beschrieb den zwei- bis dreijährigen Prozess wie folgt:

„Die Patienten durchlaufen eine neue Pubertät.“

Mann-zu-Frau-Angleichung: Transfrau

In diesem Fall erfolgt die Gabe von Estrogen als Tabletten (2–6 mg pro Tag), Gel (2–4 Hübe), Pflaster oder Spray. Eine Faustformel gebe es laut Dorn nicht, es wäre immer eine klinische Entscheidung, wie oft das Gel gegeben würde. Wichtig ist dabei auf Ethinylestradiol aufgrund der Thrombosegefahr zu verzichten. Daneben kämen Antiandrogene wie Cyproteronacetat (10–20 mg täglich) oder Spironolacton (100–200 mg täglich) und GnRH-Analoga zum Einsatz. Die Anwendung von Progesteron ist umstritten, da das Brustkrebsrisiko dadurch deutlich ansteigt. Dies wäre zwar nicht so hoch wie bei biologischen, sich als Frau fühlenden Cis-Frauen, aber definitiv höher als bei Männern. Wenn trotz des Risikos eine Progesterongabe erfolgt, was von vielen Frauen gewünscht werde, stehen regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen wie eine Mammografie an oberster Stelle. Insgesamt liegen die angestrebten Estrogenkonzentrationen während des Therapieverlaufs bei etwa 150 pg/ml, der Testosteron-Referenzbereich entspricht dem der Cis-Frauen.

Gesundheitsrisiken

Eine Angleichung ist laut Dorn „kein Spaziergang“. Mögliche unerwünschte Ereignisse durch die Gabe von feminisierenden Hormonen sind:

  • Erhöhte Leberenzymwerte, Gallensteine
  • Thromboembolische Erkrankungen, Gewichtszunahme
  • Kardiovaskuläre Erkrankungen
  • Prolaktinerhöhung, Prolaktinom
  • Mammakarzinom
  • Hypertriglyzeridämie

Unter der Anwendung maskulinisierender Hormone können folgende Ereignisse auftreten:

  • Polyzytämie, weil Testosteron zu einem Anstieg des Hämatokrits führt
  • Thromboembolische und kardiovaskuläre Erkrankungen
  • Gewichtszunahme
  • Akne und Alopezie

Ob das Risiko für die Entwicklung eines Endometrium-Karzinoms höher ist, ist umstritten und immer wieder Bestandteil von Diskussionen. Da sich die meisten Patienten einer Operation unterziehen, bei der das Endometrium entfernt wird, ist das Risiko praktisch vernachlässigbar. Anders kann es bei Patienten mit Endometrium aussehen, die durch die Hormontherapie nicht mehr menstruieren – insbesondere, wenn die aufgebaute Schleimhaut sehr dick ist.

Fazit

Das Thema ist nicht nur hochaktuell, sondern auch hochintim und diagnostisch wie therapeutisch sehr herausfordernd. Es erfordert eine gehörige Portion Fingerspitzengefühl. Neben gesellschaftlichen Kontroversen bestehen in einigen Fällen auch therapeutische sowie ethische Fragen hinsichtlich des Umgangs mit einer Trans-Identität – vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Das fällt in den Zuständigkeitsbereich des Ethikrats. Insgesamt unterliegt das Thema einem gesellschaftlichen „Flow“ und gerät durch den Christopher Street Day oder Proteste gegen die Obama-Initiative, bei der US-amerikanische Bundesstaaten gegen die freie Toiletten-Wahl für Transgender geklagt hatten, immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Eine Therapie ist nur auf der Grundlage eines psychologischen Gutachtens und nach ausführlicher Anamnese, Diagnostik und erweiterter Risikoaufklärung möglich. Letzte schließe immer eine Fertilitätsprotektion und regelmäßige Vorsorgemaßnahmen (Mamma, Prostata) ein.

Quelle

Fortbildungskongress (FOKO) 2022, Stadthalle Düsseldorf und virtuell, Transgendertherapie in der gynäkologischen Praxis, Dr. med. Christoph Dorn, Hamburg, vom 11. März 2022