Ab 60 steigt die Prävalenz für Anämien, oft bleibt die Ursache ungeklärt. Entsprechende Ausschlussdiagnosen sind essenziell, denn die veränderten Blutwerte haben gerade für Senioren schwerwiegende Folgen.
Keine triviale Alterserscheinung
Laut WHO-Kriterien ist Anämie definiert mit Hb < 12 g/dl bei Frauen und <13 g/dl bei Männern. Etwa 15% der Menschen über 60 Jahren weisen eine solche Symptomatik auf. Die Häufigkeit steigt mit dem Alter, sie tritt besonders oft bei sehr alten und gebrechlichen Patienten auf. Dennoch zählt die sogenannte Blutarmut keineswegs zu den typischen Erkrankungen, die mit höherem Alter zu erwarten sind. Gründe für den verminderten Hämoglobingehalt bzw. zu niedrigen Erythrozyten-Anteil im Blut können sein:
- Ernährungsbedingter Mangel an Eisen, Vitamin B12 und/oder Folsäure
- Entzündungen oder chronische Erkrankungen, z. B. Herzinsuffizienz, Krebs, Autoimmunerkrankungen, Infektionen
- Chronische Nierenerkrankung
- Hämatologische Malignome
Schätzungsweise bei jedem dritten älteren Anämiepatienten bleiben die Ursachen trotz umfangreicher Anamnese, Labormessungen und zusätzlicher Untersuchungen wie Knochenmarkbiopsien im Dunkeln. Auf diese Situation weisen Experten in einem aktuellen Artikel in der Fachzeitschrift der amerikanischen Geriatrie-Gesellschaft hin. Aus ihrer Sicht kommt der Ausschlussdiagnostik eine bedeutende Rolle zu. Die Suche nach möglichen Ursachen einer Anämie soll, insbesondere bei Älteren, intensiv in alle Richtungen geführt werden.
Woher kommt die Anämie?
Über die zugrundeliegenden Mechanismen einer Anämie mit ungeklärter Ursache können die Experten nur spekulieren. Hier stehen verschiedene Veränderungen in Verdacht, die in Summe eine entsprechende Symptomatik herbeiführen können:
- Nachlassende Nierenfunktion
- Endokriner Mangel: abgeschwächte Erythropoetin-Reaktion
- Niedriggradige, chronische Entzündungen
- Androgenmangel
- Aufkommende Myelodysplasie
Erhebliche Folgen für Senioren
Die Experten stufen Anämien im Seniorenalter als bedeutenden Risikofaktor ein. Obwohl die Erkrankung mit Hämoglobinwerten von 11,0–12,9 g/dl meist nur leicht ausgeprägt ist, führt sie bei Älteren schon früh zu Beschwerden und Einschränkungen sowie einer verminderten Lebensqualität. Ältere anämische Menschen büßen schneller an Muskelqualität, Kraft und Ausdauer ein, was ihre Mobilität stark einschränkt. Sie leiden stärker unter Fatigue, häufiger unter Depression und Sarkopenie und haben ein höheres Sterberisiko. Zudem liegen die Zahlen für Hospitalisierungen signifikant höher als bei ihren nicht-anämischen Altersgenossen. Liegen darüber hinaus noch andere Erkrankungen vor, verschlechtert sich die Prognose in diesem Zusammenhang: Für anämische Patienten mit stabiler Angina pectoris steigt die Todesrate um 34%, das Risiko für Herztod um 28% sowie die die Häufigkeit von schweren unerwünschten klinischen Ereignissen.
Kaum Therapien in Sicht
Ist die Ursache unbekannt, bleiben für die Behandlung wenige Möglichkeiten. Eventuell können Erythropoetin-stimulierende Substanzen (Epoetin alfa, Darbepoetin alfa) die Lebensqualität erhöhen und Fatigue lindern. Sie werden bereits beispielsweise bei anämischen Dialysepatienten eingesetzt. Weitere Untersuchungen von Substanzen zur Stimulierung der Erythrozyten- und Hämoglobinproduktion (Hepcidin-Antagonisten und Prolylhydroxylase-Inhibitoren [PHI] des Hypoxie-induzierbaren Faktors [HIF]) stehen noch aus.
Die Geriatrie-Experten sprechen sich außerdem dafür aus, den Anämie-Grenzwert unabhängig vom Geschlecht auf einheitlich < 13 g/dl zu setzen.
Quelle
Guralnik J et al. Unexplained anemia of aging: Etiology, health consequences, and diagnostic criteria. J Am Geriatr Soc 2021. https://doi.org/10.1111/jgs.17565