Mehr Kinder mit Anorexie während der Pandemie

Eine aktuelle Studie zeigt, dass während der Pandemie mehr Kinder neu an Anorexie erkrankten und eine höhere Zahl ins Krankenhaus musste. Die Ursachen sind laut Studienautoren multifaktoriell, aber eine große Rolle spielten wohl die Pandemiemaßnahmen mit ihren Folgen.

Pandemiemaßnahmen belasten Kinder

Die Pandemie und die getroffenen Maßnahmenstellen eine eine hohe seelische Belastung bei Kindern und Jugendlichen dar. Das hat in Deutschland unter anderem die COPSY-Studie gezeigt. Demnach gaben viele Kinder und Jugendliche an, dass ihnen das Lernen schwerer fällt und in den Familien mehr gestritten wird. Zudem litten sie häufiger unter Ängsten, depressiven Symptomen, psychosomatischen Beschwerden und einer verschlechterten Lebensqualität.

Diverse Medien berichteten überdies häufig von steigenden Zahlen übergewichtiger und adipöser Kinder. Aber auch das gegenteilige Problem hat sich verschärft: Die Rate an magersüchtigen Jugendlichen stieg während der Pandemie und bestehende Anorexie-Erkrankungen verschlechterten sich.

In Deutschland meldeten verschiedene Stellen, unter anderem auch Krankenkassen, steigende Erkrankungszahlen.

Kanadische Studie zu Anorexie bei Kindern

Eine aktuelle kanadische Studie aus sechs Kinderkrankenhäusern liefert nun Daten zu Neuerkrankungen und Krankenhausaufnahmen aufgrund von Anorexie. Eingeschlossen wurden Kinder und Jugendliche mit typischer oder atypischer (Essstörung mit starkem Gewichtsverlust ohne untergewichtig zu sein) Anorexie. Als Vergleich diente ein Zeitraum über fünf Jahre vor der Pandemie (Januar 2015 bis Februar 2020).

1538 Fällen aus dem präpandemischen Zeitraum standen 345 Diagnosen in der ersten Pandemiewelle gegenüber. Jeweils etwa die Hälfte litt an typischer, die andere Hälfte an atypischer Anorexie. 9 von 10 Betroffenen waren Mädchen.

Mehr Neuerkrankungen seit Pandemiebeginn

Während der ersten Pandemiewelle stiegen die Neuerkrankungen von stabilen 24,5 auf 40,6 Fälle pro Monat (Tendenz steigend). Auch die Krankenhauseinweisungen nahmen zu: Vor der Pandemie waren es 7,5 pro Monat, während der Pandemie waren es fast dreimal so viele (20,0 pro Monat mit ebenfalls steigender Tendenz).

Überdies zeigte die Krankheit während der Pandemie schwerere Verläufe. Die Erkrankung schritt schneller voran und die Betroffen verloren mehr Gewicht als vor der Pandemie (19,2% versus 17,5%). Auch die häufig mit Anorexie einhergehende Bradykardie, die in Herzrhythmusstörungen münden kann, war stärker ausgeprägt (57 versus 63 Schläge pro Minute).

Mögliche Ursachen für steigende Zahlen

Die Autoren schreiben die höheren Fallzahlen und schwereren Verläufe teilweise den Pandemiemaßnahmen zu. Mit Beginn der Einschränkungen nahmen die Erkrankungszahlen zu, insbesondere in Gegenden mit vielen COVID-19-Infektionen, in denen besonders restriktive Maßnahmen galten. Eine weitere Ursache können Ängste, Isolation und seltenere Kontakte mit Behandlern sein, was als Trigger für eine Verschlechterung bei Erwachsenen bekannt ist. Auch Stresssituationen allgemein können die Erkrankung verschlimmern.

Die Schließung von Schulen und Freizeiteinrichtungen nahm den Kindern Routinen und feste Tagesabläufe und schränkte ihre Bewegung ein. Stattdessen hat der Medienkonsum zugenommen, wo Jugendliche häufig Schlankheit als Schönheitsideal präsentiert sehen und  zahlreiche Diätthemen kursieren. Gleichzeitig wurde in Medien darüber berichtet, dass viele Jugendliche während der Pandemie zunahmen. Alles Faktoren, die laut Studienautoren die Entstehung von Essstörungen begünstigen können.

Die Autoren ziehen daraus den Schluss, dass es dringend mehr Gesundheitsprogramme zur Prävention und Betreuung gerade während, aber auch nach der Pandemie braucht.

Quelle

Agostino H, et al. Trends in the Incidence of New-Onset Anorexia Nervosa and Atypical Anorexia Nervosa Among Youth During the COVID-19 Pandemic in Canada. JAMA Netw Open 2021;4(12):e2137395. doi:10.1001/jamanetworkopen.2021.37395.