Unstatistik: Die Angst vorm Impfdurchbruch

Mit irreführenden Botschaften wird derzeit in verschiedenen Medien der Nutzen der Corona-Impfung infrage gestellt. „Das können wir uns nicht leisten“, monieren die Autoren der Unstatistik des Monats November.

Verzerrte Darstellung der Corona-Impfdurchbrüche in den Medien

Im Oktober hat das ZDF in einer Grafik den Anteil der wahrscheinlichen Impfdurchbrüche unter hospitalisierten Patienten mit COVID-19 für verschiedene Altersgruppen seit Februar 2021 mit den entsprechenden Anteilen im September/Oktober 2021 verglichen. Die Grafik zeigt:

  • Seit Februar 2021 waren unter den 18- bis 59-Jährigen, die mit COVID-19 ins Krankenhaus mussten, 4% geimpft. Unter den Menschen ab 60 waren es insgesamt 9,6%.
  • Im Zeitraum Mitte September bis Mitte Oktober 2021 betrug der Anteil der Geimpften an den hospitalisierten COVID-19-Fällen 17,4% in der Altersgruppe unter 60 Jahre. In der Altersgruppe ab 60 betrug er 42,1%.

Ein Problem der Darstellung sei laut der Mitteilung der Unstatistik-Autoren, dass sie den Eindruck erwecke, als ginge die Wirksamkeit der Impfung massiv zurück.

Ähnliches gelte für Beiträge mit Schlagzeilen wie „Mehr Impfdurchbrüche bei vollständig Geimpften“ des MDR: „Auf den Intensivstationen steigt der Anteil der geimpften Coronapatienten. Etwa jeder fünfte intensivmedizinisch betreute COVID-19-Patient in Deutschland ist gegen das Coronavirus geimpft“.

Auch wenn diese Aussage für sich genommen nicht falsch sei, liefere sie weder Informationen über die Wirksamkeit einer Impfung noch sei sie überraschend: Denn je höher der Anteil der Geimpften in der Bevölkerung ist, desto höher wird auch der Anteil der Impfdurchbrüche sein. Immerhin relativierte der MDR die Aussage später im Text.

Muss ausgewogene Berichterstattung reißerischen Überschriften weichen?

Auch im November thematisierten zahlreiche Medien die Impfdurchbrüche mit einem ähnlichen Muster: Während die Beiträge selbst durchaus klarstellten, dass die Impfdurchbrüche kein Argument gegen die Impfung seien, würden Schlagzeilen irreführend formuliert. Sie schürten, bewusst oder unbewusst, große Verunsicherung.

In einem Beitrag vom 16. November zitiert der WDR den Intensivmediziner Uwe Janssens: „Auf keinen Fall bedeuten Durchbruchinfektionen im Krankenhaus oder auf den Intensivstationen, dass die Impfung nicht wirkt. Das ist ein Fehlschluss, der im Moment leider durch die Republik, aber auch durch die ganze Welt geistert“, und er stellt klar, dass Geimpfte „deutlich seltener schwer an Corona erkranken und daran sterben als Ungeimpfte, daran lassen die Zahlen keinen Zweifel“.

Auf Twitter bewirbt man den Beitrag jedoch mit einem Anreißer, der das Gegenteil suggeriert: „Impfdurchbrüche sind keine Ausnahme mehr. Auch doppelt Geimpfte erkranken zum Teil schwer – und sterben. Was bringen die Impfungen überhaupt? Ein Überblick in neuen Zahlen“.

Mit diesen Methoden sei der WDR nicht allein, heißt es in der Unstatistik.

Wie gut wirkt die Impfung?

Aus Israel und Katar gibt es Hinweise, dass der Impfschutz nach sechs Monaten auf 50% sinkt, was mit einem Rückgang der Antikörper, aber auch der Entwicklung neuer Virus-Varianten erklärt werden könnte. Allerdings sind die Zahlen wie auch die Senkung des Infektions- und Erkrankungsrisikos, die bereits in der September-Unstatistik diskutiert wurden, vor einer ganz anderen Situation zu betrachten als in Deutschland: Die Inzidenz lag in Israel zum Zeitpunkt der „Booster-Studie“  bei 9.000 Fällen pro 100.000 Einwohnern.

In Österreich werden derzeit bei sämtlichen positiv getesteten und an COVID-19 erkrankten Menschen Impfstatus und Datum der letzten Impfung erfasst. Die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) veröffentlicht täglich die positiv getesteten und symptomatischen Fälle getrennt nach Altersgruppen und Impfstatus. So lassen sich tatsächliche Impfdurchbrüche darstellen. Die AGES schreibt dazu:

„Die Wirksamkeit der Impfung ist sehr gut, es können aber nicht alle Infektionen bei den Geimpften verhindert werden. Wenn der Anteil an Geimpften in der Bevölkerung steigt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, trotz Impfung zu erkranken. Der prozentuale Anteil an Impfdurchbrüchen steigt, die Anzahl an Erkrankungen in der Bevölkerung insgesamt sinkt aber durch die Schutzwirkung der Impfung.“

Während die Inzidenzen von vollständig und nicht vollständig Geimpften in einem recht stabilen Verhältnis stehen, nähern sich bei den symptomatischen Fällen die Anteile gerade etwas an. Der AGES zufolge lag die Impfeffektivität bezüglich symptomatischer Erkrankungen in der Altersgruppe 60+

  • im August 2021 bei >90%,
  • Ende November 2021 je nach Impfstoff nur noch bei 63% (Johnson & Johnson) bis 82% (mRNA-Impfstoffe).

Das könnte Unstatistik-Autor Gigerenzer und Kollegen zufolge ein Indikator dafür sein, dass der Impfschutz langsam nachlässt. Sie fordern, dass man endlich auch in Deutschland entsprechende Daten erhebt und laufend analysiert. Man solle aber auch berücksichtigen, dass rund 215.000 wahrscheinliche Impfdurchbrüche, die das RKI seit Beginn der Impfkampagne verzeichnet, bei fast 56 Millionen vollständig geimpften Menschen nicht einmal 0,4 % dieser Menschen ausmachen:

„Von einem Grund zur Panik, weil die Impfung nicht perfekt vor einer COVID-19-Erkrankung schützt, kann also keinesfalls die Rede sein.“

Fazit der Unstatistik-Autoren

„Es ist wohl kaum zu ändern, dass mit der zunehmenden (Des-)Informationsflut plakative und neugierig machende Schlagzeilen benutzt werden, um in den sozialen Medien Aufmerksamkeit zu erregen. Das rechtfertigt es jedoch in keiner Weise, mit irreführenden Botschaften den Nutzen der Impfung massiv in Frage zu stellen – genausowenig wie es angezeigt ist, ihn dramatisch zu übertreiben, was wir in unserer September-Unstatistik angemahnt haben. Beides schadet der Sache in einer Situation, in der wir uns eine Fehleinschätzung von Risiken nicht länger leisten können.“

Die vollständige Unstatistik ist auf den Seiten des RWI Essens nachzulesen.

Unstatistik des Monats

Mit der Unstatistik des Monats hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat jüngst publizierte Zahlen und deren Interpretationen.

Quelle

Unstatistik des Monats vom 26. November 2021, https://www.rwi-essen.de/unstatistik/121/