Im Fokus des Heidelberger Web-Kongresses, der am 20. und 21. November 2021 stattfand, standen Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts. Unter dem Motto „Wenn Magen und Darm rebellieren“ präsentierte Prof. Dr. med. Joachim Labenz vom Diakonie Klinikum Siegen Aktuelles aus dem „Reich der Mitte“ zum Thema häufige Krankheiten von Speiseröhre und Magen.
GERD – eine ziemlich komplexe Krankheit
In Deutschland leidet etwa jeder Fünfte an einer gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD), bei der Magensaft unkontrolliert zurück in die Speiseröhre fließt. Da sie keinen tödlichen Verlauf nimmt, trivialisieren viele Menschen die GERD – zu Unrecht, findet Labenz, der sie als „Volksseuche“ bezeichnete. Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) empfiehlt, einen Arzt aufzusuchen, sobald Sodbrennen und/oder saures Aufstoßen die Lebensqualität beeinträchtigen. Die aktuelle Leitlinie zur gastroösphagealen Refluxkrankheit, an deren Ausarbeitung Labenz beteiligt war, wird derzeit überarbeitet, jedoch in Kürze publiziert und thematisiert erstmals die eosinophile Ösophagitis.
Umstrittene Protonenpumpeninhibitoren
Obwohl der Einsatz von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) weit verbreitet ist, ist ihr Einsatz nicht immer gerechtfertigt. In einer amerikanischen Studie, in der mehr als 70.000 Menschen elektronisch zu vorhandenen GERD-Symptomen und deren Häufigkeit befragt wurden, gaben 40 % der Teilnehmer an, unter einem Reflux zu leiden. Überraschend war, dass 50 % der Reflux-Patienten, die täglich PPI einnahmen, weiterhin Symptome verspürten. Die Studienergebnisse zeigen eindrücklich, dass PPI die Reflux-Symptomatik nicht lösen. Darüber hinaus zeigten sich PPI beim Reizmagen nur geringfügig wirksamer als Placebo.
PPI ist nicht gleich PPI
Zwischen den PPI bestehen große Unterschiede in der gastralen Azidität. Während Pantoprazol den geringsten Effekt zeigt, erzielt Esomeprazol als potentester Vertreter mit zweimal täglich 40 mg die maximale Wirksamkeit. Eine Prophylaxe mit PPI sei nur indiziert, wenn bei Patienten mindestens ein Risikofaktor vorliegt. Zu den wichtigsten Risikofaktoren neben einem hohen Lebensalter zählen die Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS) – auch niedrig dosiert (100 mg) – und andere Nicht-Steroidale-Antirheumatika (NSAR). In diesem Fall wäre Omeprazol 20 mg vollkommen ausreichend, um dyspeptische Läsionen zu verhindern. Von einem PPI-Einsatz als „Magenschutz“ aufgrund einer Polymedikation rät Labenz klar ab und bezeichnete eine solche Vorgehensweise als Nonsense. Aus seiner Sicht sind PPI nur bei einer NSAR-Einnahme sinnvoll, aber genau in diesem Fällen würden PPI oft nicht eingesetzt. Er appellierte eindrücklich, vor allem an seine ärztlichen Kollegen, PPI gezielt und nur dann anzuwenden, wenn ihr Einsatz tatsächlich sinnvoll und gerechtfertigt ist.
Die Acid Pocket – Angriffspunkt der Alginate
Im nüchternen Zustand ist der pH-Wert im Magen sauer. Wenige Minuten nach der Nahrungszufuhr steigt der pH-Wert an und im oberen Teil des Magens im Bereich der Kardia und des Fundes bildet sich eine sogenannte Acid Pocket. Dieser physiologische Vorgang kann durch PPI nicht verhindert werden, sehr wohl aber durch die Alginate, die genau in dieser Region angreifen. Nach der Einnahme wandern Alginate im Magen nach oben, bilden einen Schutzfilm aus und eliminieren die Acid Pocket durch eine mechanische Refluxblockade. Ein Vergleich zwischen Alginaten und Omeprazol 20 mg ergab keinen Unterschied in Bezug auf die Reflux-Symptome. Labenz brachte seine Begeisterung für die Wirkstoffklasse mit folgenden Worten zum Ausdruck:
Ich bin ein besonderer Fan der Alginate.
Für eine langfristige Symptomkontrolle können neben Alginaten auch Antacida und H2-Blocker als gleichwertige Alternativen eingesetzt werden. Falls nach achtwöchiger Pharmakotherapie, unabhängig vom Wirkstoff, keine zufriedenstellende Verbesserung der Beschwerden erzielt werde, müsse eine weiterführende Diagnostik erfolgen, bestehend aus Endoskopie, Impedanz-Manometrie oder pH-Metrie, erläuterte Labenz.
Fazit
Die Wirksamkeit von PPI ist nicht (immer) ausreichend und die Erfolgsraten mit 40 bis 60 % eher überschaubar. Folglich haben PPI in der Behandlung der gastroösophagealen Refluxkrankheit ein „Downgrade“ erfahren. Die Gründe dafür, dass GERD-Patienten unter PPI-Einnahme weiterhin unter Symptomen leiden (PPI-therapierefraktäre Patienten), sind
- ein nichtsaurer Reflux, gegen den PPI schlichtweg nicht wirken (es kommt also auch auf die Zusammensetzung des Refluats, der Refluxflüssigkeit, an.)
- eine inadäquate Säurehemmung aufgrund von Adhärenzproblemen (50 % der Patienten nehmen laut Labenz PPI falsch ein.)
Das Therapieziel bei der GERD ist die ausreichende Symptomkontrolle, unabhängig davon, mit welchem Wirkstoff sie erzielt wird (Alginate, Antacida, H2-Blocker, PPI).
Quellen
- Dr. med. Joachim Labenz, Häufige Krankheiten von Speiseröhre und Magen – Aktuelle Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie, 44. Heidelberger Web-Kongress der LAK BW vom 20. bis 21. November 2021
- Delshad SD, et al. Prevalence of Gastroesophageal Reflux Disease and Proton Pump Inhibitor-Refractory Symptoms. Gastroenterology 2020;158(5):1250-1261.e2. doi: 10.1053/j.gastro.2019.12.014.