Antidote gegen Antibiotika-Kollateralschäden

Zwei Forschungsgruppen aus Tübingen und Heidelberg haben Kollateralschäden durch Antibiotika auf das Mikrobiom analysiert und potenzielle Antidote entdeckt, die unsere nützlichen Darmbakterien zukünftig (besser) schützen können.

Antibiotika – (k)eine Hilfe?

Antibiotika sind ein zweischneidiges Schwert: Einerseits sind sie unverzichtbar im Kampf gegen Infektionen und retten jedes Jahr Millionen Menschen das Leben. Auf der anderen Seite schwindet ihre Wirksamkeit durch die weltweit zunehmende Resistenzentwicklung. Zusätzlich können sie bei jeder Einnahme unsere nützlichen Darmmikroben schädigen und sich negativ auf unsere Gesundheit auswirken. Welche Lösungsansätze sind dafür in der Pipeline oder existieren bereits?

Mikrobieller Schatz = mikrobieller Schutz

Unser Darm beherbergt ein unglaublich vielfältiges mikrobielles Ökosystem, bestehend aus unzähligen Bakterien-, Viren-, Pilz- und Protozoen-Arten. Die Gesamtheit aller Mikroorganismen bildet unser Mikrobiom, das wichtige Aufgaben erfüllt:

  • Immunabwehr
  • Produktion von Vitaminen (z.B. B-Vitamine)
  • Anregung der Darmperistaltik durch die Produktion kurzkettiger Fettsäuren
  • Erhalt des mikrobiellen Gleichgewichts und somit Schutz vor Ansiedlung pathogener Bakterien

Dass sich Antibiotika negativ auf unsere nützlichen Darmbewohner auswirken, ist bereits lange bekannt. Dabei korreliert das Ausmaß der Schädigung mit der Breite des antibiotischen Wirkspektrums. Neu ist die systematische Untersuchung der Aktivitätsspektren verschiedener Antibiotika-Klassen auf unsere Darmbakterien und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Mikrobiom von Mäusen.

Kollateralschäden vermeiden

Zu den häufigsten Kollateralschäden gehören Störungen des Gastrointestinaltraktes wie Antibiotika-assoziierte-Diarrhö. Besonders gefürchtet sind Clostridium difficile-Infektionen.  Vor diesem Hintergrund leuchtet die Notwendigkeit ein, die Auswirkungen auf das Mikrobiom möglichst klein zu halten. Dieser Aufgabe hat sich die Arbeitsgruppe um Dr. Lisa Maier aus dem Exzellenzcluster „Controlling Microbes to Fight Infections“ (CMFI)“ der Universität Tübingen zusammen mit Dr. Athanasios Typas am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg angenommen und eine Strategie entwickelt, um unsere wertvolle Mikrobiota zu schützen.

144 Antibiotika im Visier

Die gute Nachricht ist: Es gibt eine Möglichkeit, den Schaden zu begrenzen. Die Lösung liegt in der Kombination von Antibiotika mit nicht antibiotischen Wirkstoffen. Diese darf die antibiotische Aktivität nicht antagonisieren und gleichzeitig keine schädlichen Auswirkungen auf die Darmmikroben haben – ein schwieriges Unterfangen. In der in Nature veröffentlichten Studie wurde zunächst untersucht, wie sich jedes einzelne der insgesamt 144 Antibiotika auf das Wachstum und Überleben von 38 repräsentativen menschlichen nützlichen Bakterienspezies auswirkt. Anschließend screenten die Studienautoren systematisch 1197 Wirkstoffe und analysierten ihr Zusammenspiel mit Erythromycin und Doxycyclin, insbesondere auf die Spezies B. vulgatus und B. uniformis. Insgesamt zehn vorteilhafte Kombinationen konnten ermittelt werden. Zu den drei potentesten Antidoten zählen Benzbromaron, Dicoumarol und die NSAR Tolfenaminsäure und Diflunisal, von denen nur ersteres in Deutschland zugelassen ist.

Ein neuer Blickwinkel

Interessanterweise überlebten unter Tetracyclinen und Makroliden nur etwa die Hälfte der untersuchten Bakterienstämme im Mäusedarm, obwohl diesen beiden häufig in der Praxis verwendeten Antibiotika-Klassen eigentlich eine bakteriostatische Wirkung attestiert wird. Die Studienautoren konnte weitere Beispiele dafür ausmachen, dass diese ursprüngliche Annahme für die Mehrheit der untersuchten Darmmikroben nicht zutrifft. Daher stellen die Ergebnisse die ursprünglich strikte Trennung der Antibiotika in bakteriostatische oder bakterizide Wirkung in Frage, zumindest bei den nützlichen Bakterien. Die Autoren vermuten als Ursache eine höhere phylogenetische Diversität verglichen mit pathogenen Bakterien. Besorgniserregend ist, dass diese selektive Abtötung dazu führen könnte, dass nützliche Bakterien schneller komplett aus dem Darm verschwinden als solche, die nur in ihrem Wachstum gehemmt werden und somit eine größere Chance auf Regeneration haben.

In-vivo Daten fehlen (noch)

Aktuell sind die Ergebnisse auf das Mikrobiom in Mäusen beschränkt. Weitere, vielversprechende Untersuchungen haben gezeigt, dass dieser Ansatz auch im Menschen funktionieren könnte. Klar ist, dass keine Kombination alle nützlichen Bakterien schützen kann. Allerdings tragen die Ergebnisse dazu bei, ein detaillierteres Verständnis der Auswirkungen von Antibiotika zu entwickeln. Sie bieten auch einen Erklärungsansatz, warum es nur bei einigen bestimmten Patientengruppen zu starken Veränderungen der Darmmikrobiota nach Antibiotika-Therapie kommt. Darüber hinaus leistet dieses Konzept einen Beitrag für die Entwicklung neuer personalisierter Strategien, um Darmbakterien zu schützen und das Mikrobiom gesund zu halten. Dennoch bildet eine rationale Antibiotika-Auswahl unter Berücksichtigung aktueller Resistenzentwicklungen die Basis für eine – hoffentlich auch noch in Zukunft – erfolgreiche Infektionstherapie.

Quellen