Foto: Adam Baker, Nobel Prize Medal in Chemistry, www.flickr.com, CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Diesjähriger Medizin-Nobelpreis ergibt Sinn

Wie nehmen wir Druck und Temperaturunterschiede eigentlich wahr? Und welche Rezeptoren sind dafür verantwortlich? Dieses Rätsel haben die beiden US-Amerikaner David Julius und Ardem Patapoutian gelöst und dafür – völlig zu Recht – den diesjährigen Medizin-Nobelpreis für die Entdeckung der Tastsinn- und Thermo-Rezeptoren erhalten.

To be or not to be

Die Fähigkeit, Druck und Temperatur über unsere Haut wahrzunehmen, erscheint uns in unserem Alltag selbstverständlich. Dabei befähigen uns gerade diese Sinne dazu, mit unserer Umwelt zu interagieren und uns kontinuierlich an diese anzupassen. Aus evolutionärer Sicht sind sie sogar essenziell, um zu überleben. Dass Reize über sensorische Nervenfasern vermittelt werden, ist bereits seit 1944 bekannt. Wie der Tast- und Temperatursinn genau funktioniert und wie Neurone Druck und Temperaturänderungen in elektrische Signale übertragen, war jedoch lange Zeit ein Geheimnis.

Überraschend anders

Für den ein oder anderen mag es überraschend gewesen sein, dass der diesjährige Nobelpreis nicht den Entwicklern der mRNA-Technologie verliehen wurde. Immerhin verdanken wir dieser mittlerweile zahlreiche verfügbare COVID-19-Vakzine. Offenbar war das Nobelpreiskomitee anderer Ansicht. Die Entdeckung der für den Tast- und Temperatursinn verantwortlichen Rezeptoren erachtete das Gremium als bahnbrechenden Durchbruch.

Alles macht Sinn!

TRPV1 (transient receptor potential vanilloid 1) – so lautet der Name des ersten von Julius entdeckten Rezeptors. Hohe Temperaturen und Capsaicin aktivieren den Ionenkanal. Und genau diesen Chili-Inhaltsstoff verwendete Julius für die Identifizierung. Um herauszufinden, wie genau Temperaturunterschiede in elektrische Signale übertragen werden, nutzte er eine DNA-Datenbank, die in sensorischen Neuronen auf Capsaicinreize hin exprimiert werden. Diese Gene exprimierte Julius dann in kultivierten Zellen, die normalerweise nicht auf Capsaicin ansprechen. Auf diese Weise gelang es Julius, die Thermorezeption zu entschlüsseln.

Ein weiterer Vertreter dieser Familie und gewissermaßen das Pendant zu TRPV1 ist der TRPM8-Rezeptor. Kälte und kälteerzeugende Stoffe wie Menthol aktivieren diesen Kanal. Entdeckt haben ihn beide Nobelpreisträger unabhängig voneinander.

Patapoutian isolierte dagegen eine ganz neue Klasse mechanosensitiver Rezeptoren, indem er sukzessive Gene potenzieller Ionenkanäle inaktivierte. Die ermittelten Kanäle nannte er PIEZO-Rezeptoren 1 und 2. Abgesehen von der Reaktion auf Druck in der Haut und den inneren Organen üben sie weitere physiologische Funktionen aus. Dazu gehören die räumliche Wahrnehmung der Körperposition und die Kontrolle der Atmung oder des Blutdrucks.

Zukunftsmusik

Julius und Patapoutian haben einen entscheidenden Beitrag zur Entschlüsselung menschlicher Sinneswahrnehmungen geleistet. Sie tragen zu einem detaillierten Verständnis bei, wie unser Nervensystem mechanische und thermische Stimuli wahrnimmt. Darüber hinaus könnten diese Erkenntnisse ein interessanter Ansatz für die Entwicklung neuer medikamentöser Targets sein, beispielsweise in der Therapie chronischer Schmerzen.

Quelle

  • The Nobel Assembly at Karolinska Institutet vom 4. Oktober 2021
  • Ärzteblatt, „Medizin-Nobelpreis für Thermorezeption und Tastsinn“ vom 4. Oktober