Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) setzt in ihrer aktualisierten Leitlinie zur kardiovaskulären Prävention auf einen neuen, altersabhängigen Score.
Ausgangspunkt: 10-Jahres-Risiko
Die überarbeitete Leitlinie wurde Ende August auf dem ESC-Kongress vorgestellt und legt anders als ihre Vorgängerin von 2016 eine möglichst individuelle Einschätzung möglichen Präventionsmaßnahmen zugrunde. Hierzu dient SCORE2, ein neues Tool zur Beurteilung des zu erwartenden kardiovaskulären Risikos innerhalb von zehn Jahren. Es soll bereits bei scheinbar gesunden Personen, die jünger als 70 Jahre sind, zum Einsatz kommen – selbst wenn keine Vorerkrankungen atherosklerotischer oder nephrologischer Art, Diabetes mellitus oder andere Gesundheitsprobleme vorliegen. Zur Risikoberechnung dienen nach wie vor Daten zu Geschlecht, Alter, Raucherstatus, Blutdruck und Cholesterinspiegel. Darüber hinaus sollen Einflussgrößen wie Stress, psychosoziale Faktoren, der koronare Calcium-Score und die Ethnizität Beachtung finden. Neuerdings fließen in die Risikobewertung länder- und altersspezifische Wahrscheinlichkeiten mit ein. Dadurch sollen auch jüngere Personen mit entsprechenden Merkmalen und ungünstigen Ausgangssituationen frühzeitig erfasst werden. Für Menschen über 70 Jahre gilt ein eigener, ähnlich aufgebauter Score namens SCORE2-OP.
Die aktualisierte Leitlinie unterscheidet anhand der SCORE2- bzw. SCORE2-OP-Werte folgende Kategorien:
Kardiovaskuläres Risiko | Behandlungsempfehlung | < 50 Jahre | 50 bis 69 Jahre | ≥ 70 Jahre |
Niedrig bis moderat | Generell keine Behandlung | < 2,5% | < 5% | < 7,5% |
Hoch | Risikofaktoren-Behandlung sollte in Betracht gezogen werden | 2,5% bis < 7,5% | 5% bis < 10% | 7,5% bis < 15% |
Sehr hoch | Risikofaktoren-Behandlung generell empfohlen | ≥ 7,5% | ≥ 10% | ≥ 15% |
Stufenweise Intervention
Besteht aufgrund des SCORE2 bzw. SCORE2-OP und/oder entsprechender Vorerkrankungen ein hohes kardiovaskuläres Risiko, erfolgen Maßnahmen zur Reduktion negativer Gesundheitsfaktoren in zwei Stufen. Für scheinbar gesunde Menschen gelten in Stufe 1 zunächst drei Handlungsempfehlungen: Rauchentwöhnung, Lebensstilverbesserung und ein systolischer Blutdruck unter 160 mmHg.
Im Detail empfiehlt die ECS unter anderem folgende Präventionsmaßnahmen:
- Weniger sitzen und so aktiv zu bleiben, wie Fähigkeiten und Gesundheit es zulassen,
- Körperliche Aktivität für mindestens 150 Minuten pro Woche mit moderater Intensivität oder 75 Minuten intensive Aktivität,
- Mediterrane Diät oder eine ähnlich Ernährungsweise,
- Weniger Fleisch und mindestens einmal wöchentlich Fisch,
- Maximal 100 Gramm Alkohol pro Woche,
- Genereller Rauchstopp, selbst wenn dieser zu einer Gewichtszunahme führt.
Unter Berücksichtigung des SCORES2, des Alters sowie einer Risiko-Nutzen-Abwägung vor dem Hintergrund von Begleiterkrankungen, Polypharmazie und Patientenwünschen erfolgen entweder keine zusätzlichen therapeutischen Interventionen oder zusätzlich definierte Ziele für systolischen Blutdruck (< 140 bis 130 mmHg) und LDL-Cholesterin (< 2,6 mmol/L / < 100 dl/dL). Stufe 2 beinhaltet darauf aufbauend strengere Therapieziele: systolischer Blutdruck (SBP) unter 130 mmHg, LDL-Werte unter 1,8 mmol/L (< 70 mg/dL) bzw. < 1,4 mmol/L (< 55 mg/dL), je nach Risiko.
Extra Empfehlungen bei Vorerkrankungen
Für Patienten mit atherosklerotischen Erkrankungen, Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion sowie anderen Krankheitsbildern gelten jeweils spezielle Empfehlungen bezüglich Therapiezielen und Arzneimitteleinsatz. Erwähnenswert ist hier die neue ESC-Empfehlung für die Kombitherapie von einem Statin und Ezetimib zur Lipidsenkung. Bleibt diese trotz Maximaldosis ohne Erfolg, empfiehlt die Fachgesellschaft PCSK9-Inhibitoren für Patienten mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko.
Umweltfaktoren berücksichtigt
Erstmalig empfiehlt die ESC außerdem Maßnahmen zur Verringerung der Luftverschmutzung, des Einsatzes fossiler Brennstoffe und Kraftstoffe sowie die Begrenzung der Kohlendioxidemissionen, um die Mortalität und Morbidität in Zusammenhang mit kardiovaskulären Erkrankungen reduzieren.
Quellen
European Society of Cardiology. 2021 ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Eur Heart J 2021; 42(34): 3227–33.