Eine Studie aus Canada soll einer zugehörigen Pressemeldung zufolge zeigen, dass mit Colchicin jetzt eine neue sensationelle Therapie für COVID-19 zur Verfügung stehen könnte. Doch die Studie wurde noch nicht durch ein Peer-Review-Verfahren überprüft und der primäre Endpunkt war nicht signifikant. Professor Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen, kommentiert die Studie im AMT-Webcast.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Ich bin Hans-Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und ich wollte Ihnen heute über eine aktuelle vorläufige Publikation berichten: zu einer Studie, die in Canada durchgeführt wurde mit Colchicin zur Behandlung von COVID-19. Sie wissen, dass im Moment die einzige wirklich wirksame Therapie von COVID-19 die Behandlung mit Cortison bei Patienten ist, die intensivpflichtig sind. Wir haben große Enttäuschungen erlebt, beispielsweise mit einer ganzen Reihe von Substanzen wie Chloroquin oder Remdesivir, die wahrscheinlich nicht besonders gut wirksam sind. Es gab nun vor einer Woche eine ganz aufregende Pressemeldung aus Kanada und dann am 10. Februar 2021 eine vorläufige Publikation der Studie.
Diese Studie hat Patienten mit COVID-19 rekrutiert, die noch nicht im Krankenhaus waren. Diese erhielten dann Colchicin – und zwar für die ersten drei Tage 0,5 mg dreimal täglich und dann für die nächsten 27 Tage einmal täglich – oder Placebo. Der primäre Endpunkt war die Häufigkeit von Tod oder stationärer Aufnahme im Krankenhaus. Die Studie hatte 4488 Patienten und der primäre Endpunkt wurde erreicht bei 4,7% der Patienten in der Verum-Gruppe und 5,8% in der Placebo-Gruppe. Das ist eine relative Risikoreduktion von 21%, die aber mit einem p-Wert von 0,08 nicht signifikant war. Die Autoren haben dann eine Untergruppe gebildet von 4159 Patienten, bei denen die Diagnose von COVID-19 mit PCR gesichert war und dort wurde der primäre Endpunkt bei 4,6% versus 6,0% beobachtet – eine 25%ige Risikoreduktion, die mit einem p-Wert von 0,04 gerade eben Signifikanz erreichte. Es gab keine Unterschiede für die beiden wirklich bedeutsamen Endpunkte, nämlich Tod und Notwendigkeit einer künstlichen Beatmung. Häufigste Nebenwirkung von Colchicin war Durchfall.
Was mir Sorgen macht, ist der große Unterschied bei Lungenembolien: Es waren nämlich elf in der Colchicin-Gruppe und zwei in der Placebo-Gruppe.
Was haben wir daraus gelernt?
- Die Pressemeldung hatte den Eindruck erweckt, dass jetzt eine sensationelle Therapie zur Verfügung steht.
- Wenn man die Publikation liest, die noch nicht peer-reviewt ist, dann sieht man zunächst mal, dass der primäre Endpunkt nicht signifikant unterschiedlich war.
- Der absolute Behandlungseffekt wäre mit 1,1% auch gering.
- Was am Wesentlichsten ist, ist, dass die beiden wirklich relevanten Endpunkte – nämlich Tod und Notwendigkeit einer künstlichen Atmung – nicht erreicht wurden.
- Was ist mit den Unterschieden der Lungenembolien?
- Es gibt weitere, etwas störende Aspekte, nämlich, dass zwei der Autoren Patente angemeldet haben für den Einsatz von Colchicin zur Behandlung von COVID-19.
Man sollte noch zuwarten. Es laufen noch 28 weitere Studien mit Colchicin und erst wenn eine zweite oder dritte Studie belegt, das Colchicin besser wirkt als Placebo, kann man überlegen, ob man das dann tatsächlich therapeutisch einsetzt.
Meine Damen und Herren, ich bin Hans-Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg Essen und das war eine neue Studie zum Einsatz von Colchicin bei der COVID-19 Infektion.
Vielen Dank fürs Zuhören und Zuschauen.
Literatur
Tardif J-C, et al. Efficacy of Colchicine in Non-Hospitalized Patients with COVID-19. medRxiv preprint. https://doi.org/10.1101/2021.01.26.21250494; January 27, 2021.
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